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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier
Autoren: Ana Veloso
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langen Reise oft darüber nachgedacht, wie er dies bewerkstelligen sollte, war aber immer wieder bei der Erkenntnis angelangt, dass er erst das Land und seine Gepflogenheiten kennenlernen müsse, bevor er einen Plan schmieden konnte, der auch zu verwirklichen war.
    Immerhin hatte er seine Reisekasse unterwegs aufgefüllt. Sowohl den Kapitän als auch den Navigator hatte er beim Kartenspiel um etliche Milreis erleichtert. Selbst Carlos Alberto hatte ein paar Münzen eingebüßt, war aber früher als die anderen beiden hinter Miguels »Geheimnis« gekommen. »Du hast ein perfektes Zahlengedächtnis, nicht wahr?« Ja, das hatte er. Während also Capitão Dias und Afonso Lima Pereira weiterhin darauf gesetzt hatten, dass ihr Passagier ja nicht immerzu Glück haben könne und sich ihr Blatt sehr bald wenden würde, hatte Miguel die aufgedeckten und ausgespielten Karten im Geiste mitgezählt und weiter gewonnen. Meistens jedenfalls. Glück war da nur sehr wenig im Spiel gewesen, das meiste verdankte er seinem Verstand. Mit diesem selbstverdienten Geld also, so wenig es auch war, würde er in Goa arbeiten. Je weniger er das Vermögen seiner Familie antastete, desto mehr würden sein Stolz und sein Selbstbewusstsein gestärkt werden.
    Das Schiff verlangsamte seine Fahrt zusehends. Miguel, der Kniehosen und ein Rüschenhemd trug, begann zu schwitzen. Ohne den Fahrtwind würde er bei diesem drückenden Wetter in Stiefeln, Wams und Schaube ersticken, und den breitkrempigen Federhut würde er wohl auch lieber nicht aufsetzen. Dennoch wollte er einen einigermaßen gepflegten Eindruck machen, soweit dies die Umstände erlaubten. Es war gut möglich, dass ein Mitarbeiter des örtlichen Kontors der väterlichen Firma, »Condimentos e Especiarias Ribeiro Cruz & Filho«, ihn abholen kam. Angesichts der Hitze würde er wohl bei Kniestrümpfen und Schnallenschuhen bleiben und sich nur eine leichte Capa umhängen. Und das konnte er auch noch im letzten Augenblick tun. Denn jetzt war es ihm bedeutend wichtiger, an Deck zu bleiben und das Spektakel des Einlaufens in den Hafen und des Festmachens zu verfolgen.
    Der Kapitän folgte hochkonzentriert den Anweisungen des Lotsen. Miguel konnte von seiner Position aus nur die oberen Gesichtshälften der beiden hinter dem wuchtigen Holzsteuer sehen, doch die Anspannung darin war klar zu erkennen. Nachdem sie die Überfahrt ohne größere Missgeschicke bewältigt hatten, hätten es alle als böses Omen gedeutet, wäre man jetzt noch auf Grund gelaufen.
    Doch das mächtige Schiff bewegte sich ebenso zielsicher wie elegant auf den Pier zu. Unter den Matrosen brach hektische Betriebsamkeit aus, als die letzten Segel eingeholt wurden, und ähnlich aufgeregt waren die Helfer, die am Pier standen, um die schweren Taue aufzufangen.
    Als das erste Tau um den Poller gelegt wurde, begann es zu regnen.

[home]
2
    S eid willkommen im
Estado da Índia,
Senhor Ribeiro Cruz!« Ein kleiner Inder mit dickem Bauch verbeugte sich vor Miguel. Der Mann sprach Portugiesisch ohne Akzent und war gekleidet wie ein Europäer. Er hatte unglaublich weiße, perfekt angeordnete Zähne, und einen Augenblick lang war Miguel sprachlos angesichts dieses Gebisses. Daheim sah man derartig makellose Zähne bestenfalls bei sehr jungen Leuten – dieser Mann hier jedoch war mindestens Mitte vierzig.
    »Und mit wem habe ich die Ehre?«, fragte Miguel und wischte sich dabei einen Regentropfen aus dem Gesicht. Die Tropfen waren groß, fielen aber bislang nur sehr spärlich herab. Noch hätte man die nassen, dunklen Punkte auf dem hölzernen Steg zählen können.
    »Oh, wie unverzeihlich von mir. Erlaubt mir, mich vorzustellen: Mein Name ist Fernando Furtado, ich bin der Prokurist der Niederlassung von ›Condimentos e Especiarias Ribeiro Cruz‹. Ich schätze mich überaus glücklich, Euch heute hier wohlbehalten eintreffen zu sehen. Hattet Ihr eine gute Reise?« Während dieser Worte winkte der Mann einen Burschen herbei, der eine Art tragbaren Baldachin über Miguel halten sollte, was diesem jedoch nur mit Mühe gelang. Miguel war mehr als einen Kopf größer.
    »Sehr erfreut, Senhor Furtado. Später berichte ich Euch gern von den Abenteuern an Bord. Zunächst jedoch klärt mich bitte auf: Woher wollt Ihr wissen, dass ich derjenige bin, den Ihr erwartet habt?«
    Senhor Furtado grinste verschmitzt. »Darf ich Euch das ebenfalls später verraten? Es dürfte nämlich jeden Moment«, hierbei verdrehte er die Augen gen Himmel, »zu einem
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