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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier
Autoren: Ana Veloso
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machen.« Am meisten aber bestürzte Miguel die Reaktion seines älteren Bruders Bartolomeu. »Diese billigen Weiber sind die besten, nicht wahr?«, hatte er Miguel zugeraunt, obwohl Beatriz, Bartolomeus hochschwangere junge Ehefrau, in Hörweite gestanden hatte.
    Es war Miguel nicht mehr gelungen, das üble Gerücht aus der Welt zu schaffen. Ehe er sich’s versah, schiffte er sich auf der Galeone gen Goa ein, ausgestattet mit den besten Wünschen seiner Mutter und seines Bruders sowie mit einem prall gefüllten Geldbeutel von seinem Vater. Es war Miguel nicht schwergefallen, die Juristerei und die heuchlerische Gesellschaft Portugals hinter sich zu lassen. Es war ihm sogar verlockend erschienen, in die Kolonie aufzubrechen, fern von seiner Familie, fern von dem schlechten Ruf, den er nicht verdiente, und fern von allem, was er kannte. Indien! Das Fernweh packte ihn mit ungeahnter Wucht, als er begann, seine Reisetruhe zu packen. Eine neue Welt – eine neue Chance.
    Niemand im
Estado da Índia,
in Portugiesisch-Indien, kannte ihn, jedenfalls nicht persönlich. Niemand würde ihm unterstellen, ein Trunkenbold und Wüstling zu sein, nur weil er Student war. Und der war er ja nun auch nicht mehr. Vielmehr hatte er den Auftrag seines Vaters, der als einer der größten Gewürzhändler Europas galt, sich vor Ort mit dem Gewürzanbau vertraut zu machen und den Zwischenhändlern auf die Finger zu schauen. In jüngerer Zeit waren einige Unregelmäßigkeiten in den Frachtpapieren zutage getreten, deren Ursache aber nie aufgeklärt werden konnte. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dachte Miguel, dass ausgerechnet er, der vermeintlich missratene, unehrenhafte Sohn, mit dieser Mission betraut wurde. Wahrscheinlich, dachte er, war es ohnehin nur ein Vorwand, um ihn möglichst schnell außer Landes zu schaffen. Sei’s drum. Hier war er nun, und er würde die Gelegenheit, etwas Sinnvolles mit seinem Leben anzufangen, keineswegs verstreichen lassen. Er war mit 25  Jahren jung genug für einen Neuanfang – und alt genug, um seinen eigenen Weg zu gehen.
    »Was ist los mit dir? Platzt dir der Schädel nach dem Fusel von letzter Nacht?« Carlos Alberto klopfte Miguel auf die Schulter und riss ihn jäh aus seinen Erinnerungen. »Ganz rote Augen hast du, mein Freund. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, du weinst einer gewissen Dame von zweifelhaftem Ruf nach.« Er brach in höhnisches Gelächter aus. »Keine Bange, mein Lieber, auch in der Kolonie gibt es sie, die drallen Küchenmägde, noch dazu dunkelhäutige.«
    Miguel war versucht, Carlos Alberto eine Ohrfeige zu verpassen, besann sich jedoch eines Besseren. Er war es selber schuld. Er hatte sich an Bord des Schiffes kaum anders aufgeführt als zuvor in Coimbra, und im Rausch hatte sich seine Zunge gelöst. Carlos Alberto war genauestens unterrichtet. Allerdings sollte gerade er wissen, dass Miguel das Mädchen nicht in die schlimme Lage gebracht hatte – Miguel hatte seinem Reisegefährten lange genug vorgejammert, wie ungerecht das alles war. Dennoch schien auch Carlos Alberto ihm keinen Glauben zu schenken. Machte er einen so verderbten Eindruck auf seine Mitmenschen? Wirkte er derartig unmoralisch? Und aufgrund welcher Umstände verurteilten ihn alle? Weil er jung, gutaussehend und aus reichem Elternhaus war? Weil er Wahrheiten aussprach, die nicht gern gehört wurden? Oder weil er gelegentlich einen über den Durst trank? Anderer Sünden als dieser hatte er sich niemals schuldig gemacht, und doch hielt ihn alle Welt für ein verzogenes Bürschchen, das dem liederlichen Leben frönte.
    Die Sonne, die zuvor ihre Gesichter in ein warmes Licht getaucht hatte, verschwand hinter den Wolken. Vielleicht, dachte Miguel, hätte er diese Reise gar nicht erst antreten sollen. Es sah ja tatsächlich nach einer Flucht aus, und flüchten mussten nur Schuldige, oder? Auch wäre es weitaus mannhafter gewesen, die Reise, wohin auch immer, aus eigener Tasche zu bezahlen und sich zur Not eben als Stallbursche oder Wasserträger zu verdingen, um sich durchzuschlagen. Aber er hatte einmal mehr den Weg des geringsten Widerstands eingeschlagen und dem Vorschlag seiner Familie, nach Goa zu gehen, nicht viel entgegenzusetzen gehabt. Es war alles so plötzlich geschehen, und ja, es war ihm verlockend erschienen. Und das tat es noch. Vielleicht würde es ihm ja hier in Indien endlich gelingen, sich aus der Abhängigkeit des Vaters zu lösen. Er hatte bereits während der
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