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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier
Autoren: Ana Veloso
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die Bekanntschaft der Senhora Furtado gemacht, einer zierlichen Person mit riesigen schwarzen Augen, die auf den ersten Blick schüchtern wirkte, die aber die Domestiken herumscheuchte, als sei sie ein großer Feldherr. Man hatte ihm und dem Hausherrn – die indischen Frauen nahmen das Essen, so lernte Miguel, lieber getrennt von den Männern ein – ein exotisches Festmahl aufgetischt, das ihm geschmeckt hatte wie keines zuvor. Manches Gericht war so stark gewürzt, dass es Miguel die Tränen in die Augen getrieben hatte, aber er hatte nicht aufhören können zu essen. Eine unüberschaubare Vielfalt an Gemüse, Früchten und Gewürzen war zum Einsatz gekommen, dazu Reis, Brot und Linsen sowie Fisch und Meeresfrüchte in verschiedenen Varianten. Einzig mit Fleisch war man nicht ganz so großzügig gewesen, und Miguel bemerkte, dass nur er davon kostete. Senhor Furtado rührte weder das marinierte Huhn noch das geschmorte Rindfleisch an. Man hatte ihm zum Abschluss des Essens einen Schnaps aus Cajú-Früchten angeboten, und schließlich hatte Miguel sich zu einer Siesta in sein Gemach zurückgezogen, in dem ein frisches Nachthemd für ihn bereitlag. Miguel hatte sich nicht die Mühe gemacht, es anzuziehen. Er hatte die Schuhe abgestreift und war stöhnend auf das wunderbare, große Bett gefallen.
    Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, ging sie bereits unter. Miguel sah sich vom Bett aus im Zimmer um. Seine Truhe stand in einer Ecke, daneben entdeckte er seine frisch geputzten Schuhe. War während seines Schlafes jemand im Zimmer gewesen? Es musste so sein, denn Miguel konnte sich nicht daran erinnern, das Moskitonetz herabgelassen zu haben. Über ihm war an der Decke ein riesiges Palmblatt befestigt, das sich langsam, aber gleichmäßig bewegte und ihm Wind zufächelte. Daran war eine Schnur befestigt. Miguel folgte mit dem Blick dem Verlauf dieser Schnur. Er rollte sich auf dem Bett herum, um in die Ecke hinter dem Kopfende des Bettes zu schauen – und erschrak so heftig, dass er beinahe hinausgepurzelt wäre. Dort, keine zwei Meter von seinem Kopf entfernt, hockte ein Junge auf der Erde und bewegte seinen großen Zeh, an dem die Schnur befestigt war.
    »Du da. Kannst du mich verstehen?«
    Der Junge wiegte den Kopf, ganz ähnlich, wie es zuvor die Burschen am Hafen getan hatten. Kein Nicken, kein Kopfschütteln, sondern irgendetwas dazwischen, das einer rollenden Bewegung glich. Gab es in der Kolonie etwa überdurchschnittlich viele Schwachsinnige?
    »Wie lange sitzt du da schon?«
    »Seit Ihr eingeschlafen seid, Senhor. Die ganze Nacht.«
    Die ganze Nacht? Sollte das etwa heißen … oh nein, es war die Morgensonne, die ihn geweckt hatte! Er hatte gute fünfzehn Stunden geschlafen.
    Miguel hob das Netz hoch und kroch darunter hervor. Auf der Bettkante sitzend fragte er den Jungen: »Tut dir die Zehe nicht weh?«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Ich meine: Hast du Schmerzen von all dem Gewackel mit den Zehen? Schnürt dir der Faden nicht das Blut ab?«
    Der Bursche antwortete mit einem dümmlichen Lächeln und neuerlichem Rollen des Kopfes.
    »Wie heißt du?«
    »Crisóstomo, Senhor.« In Miguels Ohren klang es wie »Krishna«. Miguel hatte gelesen, dass die zum Christentum »bekehrten« Hindus gern portugiesische Vornamen wählten, die ähnlich klangen wie jene, die sie ausgesucht hätten, wenn nicht die portugiesische Kolonialmacht samt ihrer Kirche das Land besetzt hätte.
    »Nun gut, Crisóstomo. Sei so gut und löse diese Schnur von deiner Zehe. Und dann bring mir bitte etwas Wasser, damit ich mich frischmachen kann.«
    Der Junge schenkte Miguel ein strahlendes Lächeln, rollte mit dem Kopf und verließ humpelnd das Zimmer. Wenige Minuten später, Miguel saß noch immer auf der Bettkante und versuchte, das Schwindelgefühl abzuschütteln, klopfte es an der Tür.
    Hätte Miguel geahnt, was da auf ihn zukam, hätte er vielleicht nicht so schnell reagiert und »herein« gerufen. Denn es traten ein: ein Bursche, der eine Waschschüssel vor sich her balancierte, sowie einer, der einen Stapel Handtücher brachte; ein stämmiger Mann in weißen Pluderhosen und langem weißem Hemd, der vor allem eine wichtige Miene zur Schau trug – der Barbier, wie Miguel vermutete; ein gebeugt gehender Alter, der ein Tablett hielt, auf dem ein paar Kleinigkeiten zu essen angerichtet waren, von denen Miguel keine einzige kannte; ein Junge, der einen dampfenden Kessel trug; und zuletzt ein hagerer, vergleichsweise hochgewachsener
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