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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier
Autoren: Ana Veloso
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des Namens seines Reisegefährten ein leicht verächtliches Herabziehen der Mundwinkel bei Senhor Furtado bemerkt? Nun, jetzt war sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über derartige Dinge Gedanken zu machen. Er schob den dünnen Vorhang am Fenster der Sänfte beiseite und ließ den Blick durch die Straßen schweifen, durch die die Sänftenträger im Laufschritt hasteten. Das quirlige Hafenviertel hatten sie längst hinter sich gelassen. Nun sah man nichts weiter als Kirchen mit verriegelten Toren, Plätze, die wie ausgestorben dalagen, abweisend wirkende Häuser und Unrat, der in den Straßenrinnen fortgeschwemmt wurde.
    Als habe er Miguels Gedanken lesen können, sagte Furtado: »Es ist Sonntag. Und es regnet. Da geht niemand auf die Straße, wenn er es irgend vermeiden kann. Am Hafen war nur deshalb so viel Trubel, weil die Leute jede Ankunft eines großen Schiffes mit Begeisterung verfolgen.«
    Miguel antwortete nicht, sondern starrte weiter versonnen in die trüben, nassen Straßen hinaus. Inzwischen regnete es so heftig, dass die Tropfen in schnellem Takt auf das Dach ihrer Sänfte trommelten. Die Gebäude Govepuris zeugten zweifelsohne von Geld und Geschmack, trotzdem wollten sie ihm nicht so prachtvoll erscheinen, wie er sie sich vorgestellt hatte. Vielleicht lag es an dem garstigen Wetter.
    »Wir begeben uns zu Euch nach Hause?«, fragte er Senhor Furtado, ohne ihn anzusehen.
    »Nun, ich halte es für vernünftig, wenn Ihr fürs Erste mit dorthin kommt. Dort steht Euch ein sehr komfortables Zimmer zur Verfügung. Ich habe bereits angeordnet, dass ein Badezuber mit heißem Wasser für Euch gefüllt wird. Auch einen Barbier und einen Masseur habe ich kommen lassen – Ihr seid nicht mein erster Gast, der eine so lange Reise hinter sich hat. Ich glaube zu wissen, wonach man sich nach diesen Strapazen sehnt. Wobei Euch, wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt, diese Belastungen kaum anzusehen sind.«
    Damit, so folgerte Miguel, wollte Furtado ihm wohl sagen, dass er nicht gar so verdreckt und verwahrlost wie andere war. Er nahm es dem Mann nicht übel. Er hatte ja recht. Miguel sehnte sich tatsächlich nach einem Bad, einem bequemen Bett sowie einer anständigen Mahlzeit mit reichlich frischem Obst und Gemüse. Die würde er bestimmt ebenfalls im Haus des freundlichen Prokuristen bekommen. Auch wenn dieser es nicht eigens angesprochen hatte, war Miguel klar, dass Furtado ihn unter seine Fittiche nehmen und ihm jede Entscheidung abnehmen würde. Er hätte es im umgekehrten Fall mit einem Gast aus Indien ebenfalls so gehalten. »Das ist überaus freundlich von Euch, Senhor Furtado. Aber es ist wirklich nicht nötig, dass Ihr so ein Aufhebens um meine Person macht. Ich will Euch nicht zur Last fallen. Wenn Ihr mir eine gute Herberge empfehlen könntet …«
    »Eine Herberge?! Ich bitte Euch, wollt Ihr Euch die Krätze oder gar das Fieber holen? Nein, nein, nein, mein Lieber, Ihr erholt Euch ein paar Tage lang bei mir im Haus von der Reise, gewöhnt Euch langsam an das Klima und die Sitten bei uns, und dann, wenn Ihr wieder zu Kräften gekommen seid, begleite ich Euch in das ›Solar das Mangueiras‹ Eurer Familie, das man derzeit für Euch herrichtet.«
    Miguel nickte. Verkatert wie er noch immer war, hatte er der munteren Autorität des Inders wenig entgegenzusetzen. Wenn er erst einmal ausgeschlafen, gesättigt und gebadet war, würde man weitersehen.
     
    Miguel wurde von der Sonne geweckt, die durch die lichtdurchlässigen Perlmuttscheibchen drang, aus denen hier die Fenster bestanden. Das gedämpfte Licht verlieh dem Raum eine verzauberte Stimmung. Es brachte die Farben der bunt bestickten Seidenvorhänge dezent zum Leuchten und ließ die hauchzarte Gaze, die sein Bett vor Moskitos schützte, wie einen feinen, sanft wabernden Nebel erscheinen. Miguel hatte das Gefühl, das ganze Haus würde schwanken, dabei war es nur sein eigener gestörter Gleichgewichtssinn – man hatte ihn gewarnt, dass das passieren würde und dass dieser Zustand bis zu einer Woche nach dem Ende der Seereise anhalten könne.
    Miguel brauchte eine Weile, bevor er sich wieder in der Realität zurechtfand. Richtig, er war in Goa, im Haus des Senhor Furtado. Er war empfangen worden wie ein Fürst. Er war von kundigen Händen rasiert, gebadet, massiert, manikürt und eingeölt worden, und er hatte danach geduftet wie eine königliche Kurtisane. Man hatte ihm frische Kleidung gegeben, die erstaunlicherweise perfekt passte. Dann hatte er
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