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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Wäre die Politik ein Acker, von dem man leben müßte, sähe es anders aus.«
    »Die feinen Herren leben nicht schlecht«, schrie der Rothaarige.
    »Laß sie nur. Es ist ein kurzes Leben! Sie sind wie der Säer, der den Samen gegen den Wind streute. Es ist nur bitter, daß wir die Ernten einzubringen haben –«
    Mit deutscher Gründlichkeit lief der ›Sonderzug‹, wie er mit dem Betreten Deutschlands hieß, dem Grenzbahnhof zu. Die Telegrafen tickten, die Empfangsbehörden besprachen die letzten Dinge mit Wochenschau und Fernsehen, Abgeordnete der Regierung memorierten noch schnell ihre Ansprache, denn die Wochenschau legte Wert auf eine volkstümliche Rede.
    In den Rote-Kreuz-Hilfsstellen stapelten sich die Butterbrote und Geschenke. Schokolade für die Kinder, Plätzchen, für jede Familie ein Paket mit der nötigsten Verpflegung, Obst, vor allem Apfelsinen und Äpfel, in großen Kesseln kochte Bohnenkaffee und Tee. Die großen Magazine für Bekleidung warteten auf den Andrang, denn man glaubte, daß die Rußlandheimkehrer zerlumpt und abgerissen eintrafen. In zwei Baracken waren die Betten weiß bezogen worden, neue Decken in Laken gelegt, die Tische mit Blumen geschmückt. Kinder standen bereit, die Ankommenden mit Blumensträußen zu begrüßen … auf der Säuglingsstation wurden dreißig Betten vorbereitet, denn man wußte nicht, wieviel Kleinkinder mit dem Transport kamen.
    Um 16.35 Uhr läutete die Freiheitsglocke von Friedland auf, schwang sich in den Winterhimmel und erfüllte die Luft mit dem Lobruf Gottes.
    Die ersten Autobusse bogen in die Lagergasse ein und hielten vor dem langgestreckten Verwaltungsgebäude.
    Blumensträuße wurden geschwenkt, Wochenschau und Fernsehen richteten ihre Scheinwerfer auf die Menschen, die langsam, zögernd, noch alles nicht begreifend, die zwei Stufen des Omnibuseinganges hinabsteigen.
    Auch Boris und Erna-Svetlana standen plötzlich im Scheinwerferlicht und wurden von einer näherfahrenden Kamera gefilmt. Sie hörten einen Sprecher sagen: »Das sind sie, die liebsten Brüder und Schwestern, die heimfanden nach Deutschland. Wir werden Gelegenheit haben, die Heimkehrer noch genauer zu sprechen. Sie kommen vom Rande Asiens her, quer durch einen ganzen Kontinent, weil sie ihre deutsche Art nicht verleugnen wollten.«
    Ein fremder Mann mit einem kleinen Spitzbart begrüßte Boris wie einen alten Freund.
    »Willkommen in der Heimat«, sagte er laut. »Alles, was Sie und Ihre Gattin an Strapazen hinter sich haben, werden Sie bald vergessen haben! Schließen Sie sich bitte an … dort, wo die anderen stehen. Sie werden erst registriert und aufgenommen. Alles andere findet sich dann …«
    Mit Blumen bekränzt, die ersten Geschenke kauend, schob sich die Schlange der Bauern in das Verwaltungsgebäude. Die ersten Säuglinge wurden in die Krankenstation getragen.
    Die Barackenzimmer waren geöffnet zur Aufnahme, die ersten Teller mit warmem Essen wurden aufgefüllt.
    Für Boris und Erna-Svetlana war dies nichts Neues. Baracken, Ausfüllen von Fragebogen, Beantwortung vieler direkter Fragen … sie kannten alles. Nur die Umgebung war anders … die Zimmer sauber, die Beamten höflicher, es roch nach Kaffee und Gemüse, und wenn sie aus dem Fenster blickten, sahen sie gegenüber in die Zimmer der Baracken mit ihren weiß bezogenen Betten, den gedeckten Tischen und den Rot-Kreuz-Helferinnen in ihren weißen Schürzen.
    »Was hat man Ihnen von Westdeutschland erzählt?« fragte einer der Beamten. Er trug keine Uniform, sondern einen dunkelgrauen Maßanzug.
    »Nichts«, sagte Boris.
    »Sind Sie gerne nach Deutschland zurückgekommen?«
    »Ja.«
    »Was haben Sie in Rußland erlebt? Erzählen sie –«
    »Erzählen?« Boris sah zur Seite auf Erna-Svetlana. »Wie kann man das jemals erzählen …«
    Der Beamte im dunkelgrauen Maßanzug sah konsterniert an die Decke.
    »Sie müssen doch das, was Sie erlebten, erzählen können!«
    »Kann man das wirklich? Können Sie dreizehn Jahre in fünf Minuten erzählen?«
    »Sie haben doch nicht immer was erlebt! Erzählen Sie markante Erlebnisse! In dreizehn Jahren geschieht doch einiges.«
    »Ja, einiges.« Boris sah auf die Tischplatte. »Aber vielleicht interessiert es Sie gar nicht. Es ist nichts Besonderes.«
    »Schade.« Der Beamte bot Boris eine Zigarette an. »Sie waren Bauer in Undutowa?«
    »Kuhhirte, mein Herr.«
    »Ach so. Na ja … Und Ihre Frau?«
    »Die war als Haustochter bei dem Stalinpreisträger Borkin, bis ich ihn
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