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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht, was er sagen sollte. Er sah, wie glücklich Svetlana war, wie sehr sie sich freute, den Kindern zum erstenmal etwas Schönes kaufen zu können.
    »Willst du schimpfen, Bor?« fragte sie kläglich, als sie sein Gesicht sah.
    »Ich müßte es, Svetla!«
    »Sie sehen so süß aus.«
    »Man hat dich betrogen! Die ganzen Sachen kannst du billiger und besser in den Städten kaufen, in anständigen Geschäften!«
    »Mascha sieht aus wie eine kleine Dame, und Mischa ist ein richtiger kleiner Herr!« sagte sie glücklich. »Sie sind doch das einzige, was wir noch haben, Bor. Unsere Kinder …«
    Boris sagte nichts mehr. Als die Kinder hereinkamen, in ihren neuen Kleidern, war er selbst ein wenig glücklich und freute sich. Sie sahen so anders aus, fand er. Richtig westlich. Kann schon die Kleidung einen Menschen wandeln?
    »Wir werden in drei Tagen weiterfahren«, sagte er. »An den Rhein.«
    »Wieder in ein Lager?«
    »Nein. Ich habe eine Stellung bekommen. Als Knecht.«
    »Auf einer Datscha?«
    »Sie nennen es hier Gut!« Er nahm die Hände Erna-Svetlanas und streichelte sie. »Eine Wohnung werden wir haben. Ein Schwein im Jahr, jeden Tag frische Milch und Butter und im Monat 280 Mark westdeutsches Geld.«
    »Ist das viel, 280 Mark?«
    »Das wird sich alles zeigen, Svetla. Wir werden beide arbeiten, so viel wir können. Wir wollen wieder einmal selbst einen Hof haben, einen kleinen Hof nur. Ein guter Bauer ist immer gesucht und noch nie verhungert. Auch wir werden es schaffen.«
    »Ich will dafür beten, Bor. Jeden Tag. Hier dürfen wir es ja wieder. Nur Angst habe ich manchmal …«
    »Angst?«
    »Es ist alles so anders hier. So schnell, so hastig. Keiner hat Ruhe, alle rennen sie, sprechen sie wie das schnelle Rauschen der Stromschnellen am Don. Sie sind so ganz anders als wir, Bor.«
    Er legte den Arm um ihre schmalen Schultern und drückte sie an sich.
    »Aber es sind Deutsche, Svetla. Bald werden wir wie sie die Sprache sprechen, und bald werden wir so schnell sein wie sie. Wir wollen uns in diese fremde Welt stürzen und mitschwimmen im großen Strom. Warum hast du Angst …? Ich bin doch bei dir.«
    »Das ist das einzige, was mich stark macht, Bor.«
    »Wir sind endlich frei, Svetlana!«
    »Ich kann es noch nicht glauben.«
    »Schau dich doch um!« Boris reckte sich. »Keine Norm mehr, keine Sowchose, kein Zwang, keine Spitzel, keine NKWD … dieses Land ist so frei wie der Himmel, der über uns ist!«
    Am Abend wurde er von der politischen Polizei zum Verhör geholt …
    »Was wollten sie von dir?« fragte Svetlana, als Boris nach einer Stunde zurückkam in die Barackenstube. Die Kinder schliefen bereits … sie hatten ihre neuen Kleider neben sich auf der Decke liegen und umfaßten sie, als seien sie die schönste Puppe.
    »Sie wollten wissen, wie es in Rußland ist.«
    »Gerade von dir?«
    »Sie haben alle gefragt.«
    »Hast du ihnen alles erzählt?«
    »Nein. Sie wollten wissen, wie hoch die Normen sind, wo die Sowchosen liegen, wie es in einem Straflager aussieht, wieviel in einem Straflager sind. Sie fragten nach Uranbergwerken, nach Kernspaltungszentren … sie fragten Dinge, die ich gar nicht kenne. Das war alles. Ich habe zwei Zigaretten geraucht und zwei Gläser von etwas getrunken, was sie Kognak nennen. Es schmeckte gut, besser als der beste Wodka von Borkin.«
    »Du wolltest den Namen nicht mehr nennen, Bor …«
    »Es war das letztemal. Alles soll jetzt hinter uns liegen! Übermorgen geht es los in die endgültige Heimat. An den Rhein.«
    Vor der Baracke entstand Lärm. Der Rothaarige hatte einen der Händler am Kragen und ohrfeigte ihn rechts und links. Der Kopf des Mannes flog von einer Seite zur anderen, als habe er gar keinen Hals mehr, der ihn festhielt.
    »Du Sauhund!« brüllte der Rothaarige. »Erst verkaufst du mir ein Feuerzeug, und dann gehst du zu Axinija und willst sie mitnehmen in die Großstadt in einen Puff! Du verdammter Hund! Ich schlage dich tot!«
    Drei Männer stürzten herbei und rissen den Rothaarigen von dem Händler. Der Mann fiel in den Schnee und wischte sich das Blut aus dem Mund.
    »Das kostet dich Zuchthaus, du Russenlümmel!« stöhnte er.
    »Laßt mich los!« schrie der Rothaarige. »Ich zerreiße ihn!«
    »Anzeigen werde ich dich! Körperverletzung! Versuchter Mord! Das kannst du bei deinen Bolschewiken machen, du Halbaffe, aber nicht in Deutschland! Geh zurück zu deinen Asiaten … hier herrscht Ordnung!«
    »Weg!« brüllte der Rothaarige. Er trat um sich, aber
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