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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ich den Genossen Semjow in den Hintern!« schrie ein älterer Hirte.
    »Das hält er aus! Er ist dick genug.« Rudolf winkte ab. »Gehen wir erst hinein … vielleicht ist es auch nur eine Schulung, die er abhält?«
    »Bei dir? Wozu haben wir unsere stolowaja? Für 10.000 Rubel haben wir den Festsaal erbaut!«
    »Wir werden sehen!«
    Rudolf betrat sein Haus und riß die Tür zu dem großen Zimmer auf. Hinter ihm drängten sich die Hirten in den Raum, der bei ihrem Eintritt das Summen verlor.
    Dicht gedrängt, kaum, daß sie sich rühren konnten, standen die Männer, Frauen und Kinder von Nowy Wjassna vor einem an die Wand geschobenen Sessel, in dem eine dicke, schon unförmig anzusehende Gestalt hockte.
    Sie hob den Kopf, als die Tür aufging, und eine große Hand winkte Vera Petrowna ab, die mit erhobenen Armen auf ihren Mann Rudolf zueilen wollte.
    »Stoij!« sagte eine dunkle Stimme. »Bleib, mein Täubchen. Es ist gut, daß Rudolf rechtzeitig kommt! Bleib stehen!«
    Rudolf Bergner sah in die Gesichter seiner Dorfgenossen. Sie waren ernst, verschlossen, wütend, ratlos, aufgelöst, verbissen, trotzend … sie waren alles, was ein Mensch an Gefühlen zusammenballen kann, und doch waren sie ein Nichts, weil das Hauptmerkmal eine grenzenlose Ratlosigkeit war.
    »Was wollen Sie, Genosse Igor Igorowitsch Semjow?« fragte Rudolf laut. Seine mächtige Stimme füllte das große, stille Zimmer aus und zerriß das leise, stoßweise Atmen der schweigenden Menschen. »Was geht hier vor?!«
    »Ich bringe euch einen Gruß von Brüderchen Stalin.« Semjow erhob sich ächzend. Jetzt, wo er stand, verlor sich etwas seine Fülle. Er wirkte massig, so, wie ein Bär, der sein Winterfell noch nicht ausgehaart hat und sich frierend zusammenzieht wie zu einem Fellknäuel. Sein breites Gesicht war etwas mongolisch … nur ein bißchen, die Augen standen schräg, und die Hautfarbe war ein schmutziges Gelb, doch fehlten die vorstehenden Backenknochen und die Fettfalten an den Augen. Er war ein Mischling, und daran trug er schwer, denn keiner zählte ihn zu sich … der Russe nicht und der Mongole nicht. Da wurde er ein glühender Bolschewist, und als Natschalnik beherrschte er Russen und Mongolen. Die Macht über die Kleinen, Getretenen war sein höchstes Glück. Sie war ihm der Inbegriff seines Lebens.
    Rudolf Bergner sah auf seine Frau. Sie hob wieder den Arm und wollte etwas sagen, aber Semjow fächelte wieder mit seiner schweren Hand durch die Luft.
    »Sie sind hier alle erregt, Genosse Rudolf. Ich verstehe sie nicht, die Brüderchen. Es ist ein Befehl gekommen aus Moskau … ein Befehl für uns, begreifst du das, Genosse?! Zum erstenmal seit der Oktoberrevolution erreicht ein persönlicher Befehl aus Moskau das Amt in Korosten. Als der Telegraf tickte, mußte ich mich am Stuhl festhalten, sonst wäre ich umgefallen. Stalin ruft Korosten. Stalin hat Worte für Igor Igorowitsch Semjow! Ist das nicht herrlich?!«
    Seine Augen glänzten und flimmerten. Er hatte sich höher aufgerichtet und stand im Raum wie ein Denkmal. Die zusammengedrängte Schar der Dorfbewohner starrte ihn an wie den Wolf, der einen Engpaß versperrt, durch den die Herde ziehen muß.
    »Was will Stalin?!« sagte Rudolf hart.
    »Wir sollen weg!« schrie Vera Petrowna. »Wir sollen weg aus Nowy Wjassna!«
    Es war, als ginge ein Seufzen durch den Raum. Die Mienen der Männer waren starr. Nur Semjow drehte sich zu Rudolf um und lächelte.
    »Das ist doch nicht wahr«, sagte Rudolf leise. Er sah zu seiner Frau hinüber und zu seiner kleinen Tochter Erna-Svetlana, die sich mit großen, unwissenden Augen an die Mutter drängte. »Das ist doch ein Irrtum, Semjow! Wir sind doch hier nicht in Sibirien, wo man Pelzjäger umsiedelt!«
    »Es ist ein prikaß (Befehl) aus Moskau.«
    »Dann sind sie verrückt geworden in Moskau! Hast du nicht sofort zurücktelegrafiert: Idioten!?«
    »Genosse Rudolf«, sagte Igor Igorowitsch Semjow sanft, »ich fühle mich in Korosten wohl. Wie sollte ich so etwas sagen?«
    »Aber das ist doch Irrsinn?! Wo sollen wir denn hin? Eine neue Kolchose? Mit Kind und allem Vieh und allen Möbeln? Das hier sind unsere Häuser! Wir haben sie erbaut … vor über hundert Jahren! Es sind unsere Felder! Katharina die Große hat sie uns geschenkt!«
    »Katharina …« Semjow lächelte mokant und setzte sich ächzend wieder in seinen Sessel. »Wer spricht denn noch von der geilen Katharina? Genosse Stalin –«
    »Wo sollen wir den hin?!« schrie Rudolf.
    »Nach
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