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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erschlug.«
    Der Beamte legte mit zitternden Fingern seine Zigarette hin. »Wen haben Sie erschlagen?« fragte er heiser.
    »Iwan Kasiewitsch Borkin, den Stalinpreisträger und Freund Stalins. Ich bin dafür ins Straflager Ust-Kamenogorsk gekommen, nachdem ich mit meiner Frau versuchte, über die Dsungarei und Tibet nach Indien zu flüchten.«
    Der Beamte riß den Mund auf und wischte sich über die Stirn, als steche ihn dort eine Wespe.
    »Und das nennen Sie nichts Besonderes?« Sein Kopf zuckte vor. »Sie erschlugen ihn, weil Sie ein Stalingegner waren?«
    »Nein. Weil er meine Frau mißbrauchte.«
    »Sie waren ein Retter ihrer deutschen Ehre?«
    Boris schüttelte den Kopf. »An Deutschland habe ich da nicht gedacht. Ich habe nie daran gedacht, bis ich betrogen wurde mit einer Unterschrift, die ich nie gegeben hätte, wenn ich gewußt hätte, wofür.«
    Wenige Minuten später konnten Boris und Erna-Svetlana gehen. Der Beamte im dunkelgrauen Anzug sah ihnen mißbilligend nach.
    »Eine fast impertinente Familie«, sagte er leise zu dem Registraturbeamten an seiner Seite. »Typisch Kuhhirte und Madka! Es ist nicht alles Gold, was aus dem Osten kommt. – Es ist wie überall: Es gibt solche und jene …«
    Die nächsten Aussiedler betraten das Zimmer. Sie kamen aus der Gegend von Stalingrad und konnten viel erzählen vom Aufbau der schon mythisch gewordenen Stadt.
    Und der Beamte im dunkelgrauen Anzug war zufrieden mit ihnen und versprach ihnen eine gute Zukunft.
    *
    Die Arbeitsvermittlung und die Verteilung der über 400 Aussiedler begann schon am nächsten Tag.
    Die Zeit des Wartens, die sie von Rußland her kannten, schien vorbei zu sein. Wie eine gut geölte Maschine lief der große westdeutsche Staatsapparat lautlos und präzise.
    Die erste Nacht in einem richtigen Bett mit weißer Wäsche – Erna-Svetlana erinnerte sich, dies zum letztenmal vor etwa 7 Monaten auf der Datscha gehabt zu haben – war erfrischend wie ein kaltes Bad. Der Morgenkaffee war reichlich; alle Menschen waren freundlich zu ihnen, drückten ihnen die Hand, schenkten ihnen etwas. Reporter kamen in die Stuben, fotografierten, fragten sie aus über das Leben in Rußland und träumten von Schlagzeilen.
    Vor dem Lager standen die fliegenden Händler und boten zu Überpreisen schlechte Pullover aus Wollgemisch, Decken aus frisierter Baumwolle und Andenkenkitsch an. Sie kamen mit Katalogen und ganzen Warenzügen, mit dicken Mappen voller Ratenzahlungsverträge und lockenden Plakaten: Ein Schlafzimmer für 540 DM komplett! Zahlung in 24 Monatsraten! Oder: Keine Familie in Westdeutschland ohne Eisschrank. 120-l-Schrank nur 368 DM! Keine Anzahlung. Raten bis zu 18 Monaten! Oder: Wer vorwärtskommen will, muß ein Auto haben. Wir finanzieren Wagen aller Klassen und Typen bis zu 36 Monaten!
    An den Barackenfenstern standen die Bauern aus Judomskoje und Sverdlowsk, aus Irkutsk und Saratow und starrten auf die Plakate. Es war ihnen, als bestaunten sie ein Wunder.
    Welch eine Welt öffnete sich ihnen! In welch ein Land kamen sie! Welch Paradies auf Erden bot sich ihnen dar.
    Komplette Schlafzimmer!
    Eisschränke.
    Fernsehgeräte, Musiktruhen, Schallplattenvitrinen mit eingebauter, leuchtender Bar.
    Couches, Teppiche (echt Orient mit Plombe!), Nußbaumschränke, Gemälde (Leda mit dem Schwan – oder – Pan bläst die Hirtenflöte), Stehlampen, Schaumgummisessel, Elektroküchen, Starmix …
    Der Rothaarige rieb sich die Augen, als schmerzten sie ihm vom vielen Sehen und Kaumbegreifen.
    »Das kann man alles kaufen?« sagte er zu den anderen, die aus dem Fenster lehnten. »So 'was hat ja nicht 'mal der Natschalnik von Alma-Ata!«
    »Wenn du das nötige Geld hast …«
    »Geld! In 24 Monatsraten, ihr Idioten! Wenn wir Arbeit bekommen, ist das gar kein Problem!«
    »Und wenn du keine Arbeit bekommst?«
    »Die haben uns 'rübergeholt, damit wir hier arbeiten.«
    »Abwarten, Rotkopf!«
    Kritisch sahen sie zu, wie die ersten Bauern die ersten Geschäfte mit den Händlern tätigten. Sie unterschrieben die Verträge, weil sie glaubten, einen neuen Hof zu bekommen oder wenigstens doch soviel Geld, um im Wunderland der Kapitalisten leben zu können wie im ersehnten Paradies.
    Als Boris die Arbeitsvermittlung betrat, saß ihm ein etwas griesgrämiger Beamter gegenüber, der leberkrank war und deshalb ein Pessimist. Die Kartei war schon von der Registratur herübergekommen … bestimmungsgemäß wurde sie noch einmal verglichen mit den Angaben, die Boris machte.
    »Wo
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