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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vaterländische Pflicht.«
    »Natürlich, Genossen. Ich wollte es so ausdrücken. Vielleicht waren die Worte etwas falsch –«
    »Es ist so ziemlich alles falsch, Genosse!«
    Vor Tschetwergow drehte sich das Bild Lenins, das er gegenüber an der Wand hängen hatte. Nur nicht umfallen, sagte er sich vor. Nur nicht weich werden. Noch weiß man nicht, was sie wollen. Und wenn es ganz hart kommt, ist es immer noch Ilja Sergejewitsch Konjew, der schuldig ist. Wo käme man im Leben hin, gäbe es nicht ein Hintertürchen, Genossen …
    »Was soll falsch sein?« fragte er mutig.
    »Zunächst die Sache mit der Datscha!«
    »Datscha?« fragte Tschetwergow dumm. Aha, dachte er. Daher weht es! Werden wir ein bißchen blöd … Dummheit ist etwas, was am meisten anerkannt wird.
    »Die Datscha in Judomskoje, die einmal Stalin an Iwan Kasiewitsch Borkin gegeben hatte.«
    »Borkin ist tot, und Stalin auch«, stellte Tschetwergow wie unter einem Intelligensblitz fest. Die drei Herren aus Moskau gingen darauf nicht ein.
    »Wem gehört sie dann?«
    O Mamaschka, durchfuhr es Tschetwergow. Schon wieder Boris und Svetlana. Man hätte sie als Kinder ertränken sollen wie junge Katzen, dann wäre alles nicht gekommen.
    »Boris Horn und Erna-Svetlana Horn, geborene Bergner.«
    »Zwei Deutschen!«
    »Genossen –«
    »Dem Mörder Borkins –«
    »Das ist nicht wahr.« Tschetwergow lächelte überlegen. »Der Mörder ist der Knecht Fedja gewesen. Er hat gestanden. Das Geständnis liegt bei den Akten.«
    »Wir haben zwei Geständnisse! Auch Boris Horn hat gestanden.«
    »Unter Druck.«
    »Bei uns gibt es keinen Druck, Genosse!« brüllte der eine Herr aus Moskau auf. »Sie sind ja völlig durchsetzt mit kapitalistischen Worten! Sie denken ja schon bourgeoise! Unerhört!«
    »Das ist es, Genossen.« Tschetwergow kroch in sich zusammen. »Es ist aber die Wahrheit, daß Fedja …«
    »… von Ihnen erpreßt wurde!«
    »In Rußland gibt es keine Erpressung, Genosse«, wagte Tschetwergow zu sagen.
    »Ruhe!« Die drei aus Moskau sahen Tschetwergow wie einen Delinquenten an. »Wir wissen es genau, daß Boris Horn Borkin erschlagen hat, weil dieser die Braut Boris', eben jene Svetlana, geschändet hat.«
    »Das wäre zu beweisen!«
    »Konjew hat es gestanden …«
    Über Tschetwergow schwankte die Decke. Er umklammerte mit beiden Händen die Tischplatte. Sein Tatarenkopf wurde fahl und faltig.
    »Ilja … gestanden … Haben Sie Konjew …?«
    »Wir haben Konjew leider verhaften müssen. In seiner Sowchose wurden für 10.000 Rubel Unterschlagungen festgestellt. Er ist schon auf dem Wege nach Ust-Kamenogorsk. Und die Datscha werden wir an Tagaj zurückgeben.«
    »An – Tagaj?! Aber er ist doch –«
    »Seine Musik ist in Moskau beliebt. Vorgestern wurde er von Genosse Chruschtschow empfangen –«
    Stephan Tschetwergow wischte sich mit beiden Händen über die Augen. Er senkte den Kopf und hing in seinem Sessel wie aus dem Wasser gezogen.
    »Wann komme ich weg, Genossen?« fragte er leise.
    »Wir nehmen Sie mit, Tschetwergow.«
    »Nach Moskau? In die Lubjanka?«
    »Ja.«
    »In den Keller?«
    »Vielleicht –«
    »Geben Sie mir eine Chance, Genossen.« Tschetwergow hob beide Hände. »Als Kameraden! Als Sowjetgenossen! Eine kleine Chance nur. Ich will mich schriftlich für alles rechtfertigen.«
    »Rechtfertigen!« Die drei aus Moskau lächelten mokant.
    »Glauben Sie, daß Ihre Blätter jemand liest, wenn wir unsere Befehle haben?«
    Tschetwergow glaubte es auch nicht. Er hob die Schultern und sank zusammen.
    »Einmal gehen wir alle dahin«, sagte er plötzlich mit asiatischer Gelassenheit. »Auch ihr, Genossen –«
    Es war der einzige Punkt, in dem sie alle schweigend übereinstimmten.
    *
    Der Zug näherte sich der deutschen Grenze.
    »Eine Grenze mitten durch Deutschland«, sagte ein alter Bauer. »Irgendwie stimmt es nicht mehr mit der Politik! Mein Urgroßvater kam aus Pommern … ist das nun Deutschland oder nicht?«
    »Das ist Polen.«
    »Und Königsberg?«
    »Heißt Kaliningrad und gehört zu Rußland.«
    »Meine Großmutter kam aus Breslau«, rief ein anderer.
    »Das gehört jetzt zu Polen!«
    »Dann gibt es ja gar kein Deutschland mehr«, sagte der alte Bauer verblüfft.
    »Etwas hat man übriggelassen, Väterchen.«
    »Etwas! Wenn ihr ein Feld nehmt und zerreißt es in kleine Teile … kann es einen ernähren?! Jeder Bauer kann euch sagen, daß es Dummheit ist …«
    »Aber es sitzen keine Bauern dort, wo regiert wird«, sagte Boris.
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