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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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unterhielten. Genau danach hatte sie ihn gefragt, wie er dazu stünde, ein Kind zu bekommen. Sie hatte wohl über die Wahrscheinlichkeit nachgedacht, dass ein solches Kind entstünde; das Kind, das sie nicht mit ihm bekommen würde.
    Alle möglichen Leute, denen man es nie und nimmer zutrauen würde, hätten nur den einen heißen Wunsch, eine Familie zu gründen, hatte Liina gesagt. Aber in seinem Fall hatten sich seine Wunschvorstellungen nicht darum gedreht, eine Familie zu gründen, er hatte sich nur nach Una gesehnt, so einfach war das.
    Jetzt kam es ihm in den Sinn, dass er auch all diese Jahre ohne Una so etwas wie ein Glücksmensch gewesen war – weil er ein Liebender war. Das war viel zutreffender, als dass er inwendig hohl gewesen war, wie er sich ausgedrückt hatte. Musste er nun die Geschichte von siebzehn Una-losen Jahren neu schreiben? Den Jahren, die er, beharrlicher als ein Fixstern, die Frau liebte, die er nie sah. Aber nie aus dem Blickfeld verlor.
    Unerhörter Stolz flammte in Karl Ástuson auf. Er war ein Held, der vollkommen ahnungslos einen Weltrekord aufgestellt hatte, wie ein afrikanischer Läufer aus dem Busch, der für die Olympiade ausstaffiert worden war und im Endspurt an weißen Marathonläufern vorbeizog.
    Als endlich ein gelbes Taxi auftauchte, verwarf er seinen Plan, sich zum Friedhof fahren zu lassen. Er wollte zu Fuß gehen. Es würde eine Stunde dauern, genau wie sein misslungener Versuch, Zaunpfähle um Doreen Ash herum einzurammen. Da war er gerannt, als sei ihm der Teufel auf den Fersen. Jetzt ging er langsam und zog bedächtig einen Pfahl nach dem anderen wieder heraus. Doreen Ash war ihm willkommen. Willkommen, Wohltäterin. Er fand sogar passende Worte, Neujahrsnachtworte, die Ástamama immer vor sich hin gesummt hatte, und er dichtete sie auf seine gute Elfenfrau um:
    Es mögen kommen, die kommen wollen,
    es mögen bleiben, die bleiben wollen,
    mir und den Meinen nicht zum Schaden,
    besonders meine liebe Doreen.
    Sie war das ein oder andere, diese Frau, mehr oder weniger angenehm, sogar mehr oder weniger schön. Aber von nun an würde sie nur noch eines für ihren Romanhelden in der Menschenwelt sein: die gute Elfenfrau, die ihren Zauberstab geschwungen und ihn in einen Glücksmann verwandelt hatte. Dafür wollte er an jedem Tag, der ihm zu leben vergönnt war, an sie denken. Das stand zuoberst auf dem Aktionsplan rund um Doreen Ash – und es würde ihm leichtfallen. Wesentlich schwieriger würde es werden, einen Guten Liebhaber mit Schuldgefühlen und anderem zu eliminieren; denn schuldig war er. Er war unabsichtlich für den Tod von Doreen Ash verantwortlich. Diese Schuld hatte er vor, wie ein Mann zu tragen, nicht wie eine lächerliche Romanfigur. Den Guten Liebhaber gab es ja schließlich gar nicht, er war eine Erfindung, der Preis für das Glück; ausgesandt von einer Frau, die gar nicht existierte, genauso wenig wie andere Autoren. Es war seine Aufgabe, dieses Zerrbild von sich selber zu eliminieren. Die Kraft dazu verliehen ihm zwei Frauen, und nicht zuletzt die ungeborene trug Wesentliches dazu bei.
    Da Liina ihm präzise Anweisungen gegeben hatte, fand er das Grab auf Anhieb. Sie hatte ihm aber auch gesagt: Mein Lieber, gewöhn es dir bloß nicht an, Doreens Grab zu besuchen. Er hatte geantwortet: Ich gehe nur dieses eine Mal.
    Etwas anderes hatte er auch gar nicht im Sinn, er stand zum ersten und letzten Mal vor dem Grabstein mit diesem Namen, dem Namen einer Frau, die Ash hieß und deswegen sogar seine Halbschwester hätte gewesen sein können, aber das war glücklicherweise nicht der Fall.
    Dort stand er also, Karl Ástuson
höchstselbst
, am Grab der Lebensspenderin, mit fünfundzwanzig gelben Rosen im Arm, die immer schwerer zu werden schienen. Auf die Schnelle sah er nicht, wie er sich dieser Bürde entledigen konnte. An eine Vase hatte er nicht gedacht, daran war nun nichts mehr zu ändern. Es ging ja auch nicht um die Rosen, sondern er hatte vor, ihr etwas zu sagen, der Frau, die dort lag, auch wenn er keine große Hoffnung hatte, dass sie ihn hören würde.
    Der Zufall wollte es, dass an diesem Ort des Schweigens kaum Ruhe genug war, um mit denen zu sprechen, die vom längsten Schweigen der Welt umgeben waren. Eine silberhaarige Frau in einem violetten Überwurf pflanzte auf dem übernächsten Grab mit viel Geräuschentwicklung Sträucher ein. Sie hatte gerade erst damit angefangen, also würde er wohl seine Ansprache in ihrer Anwesenheit halten
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