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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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dass seine Liebste am gleichen Tag Schluss mit ihm gemacht hatte, und fügte hinzu: Man versteht nicht einmal seine eigene Mutter.
    Am allerwenigsten sie, sagte Fríða, und daraufhin tauschten die Halbgeschwister bedeutungsvolle Blicke aus.
    Nun setzten also Karl und Fríða alles daran, das Eckhaus so schnell wie möglich zu verkaufen und den Erlös zwischen sich aufzuteilen. Einige wichtige Objekte aus dem Haus wie die Nähmaschine und der Paravent konnten bei guten Leuten eingestellt werden, und Karl ließ sie sich schicken, nachdem er zu Geld gekommen war. Das Klavier und die schönen Esszimmermöbel hingegen fielen Fríða zu, und die Bücher teilten sie entsprechend den Anweisungen der Mutter unter sich auf.
    Kurz und gut, das Haus war genau an dem Tag, als Karl Island für immer verließ, zum Verkauf bereit. Präzise an seinem Geburtstag, dem vierzehnten September. Er wurde zwanzig. Am fünfzehnten September wurde seine große Liebe Una zwanzig. Es war ihnen nicht vergönnt gewesen, einen einzigen Geburtstag gemeinsam zu feiern, obwohl nur ein paar Stunden zwischen den Augenblicken lagen, wo sie das Licht der Welt erblickt hatten. Vor allem deswegen vergoss er im Flugzeug unauffällig Tränen.
    Nachdem er ein zweites Mal geweint hatte, und zwar auf der Grand Central Station und dann nie wieder in all den Jahren der Einsamkeit, setzte er sich mit dem Rechtsanwalt des Vaters in Verbindung. Es wurde ein Treffen für den nächsten Tag vereinbart, seltsamerweise in einem Hotelzimmer, wie Liebende, die gezwungen waren, sich heimlich zu treffen. Karl wurde wie nie zuvor klar, was für ein Geheimnis seine Herkunft war.
    Karol Ash war um die siebzig und sah mit seinem weißen Haar und Bart aus wie Gott der Allmächtige in eigener Person. Er trug auch einen großen goldenen Ring mit einem roten Rubin an der Hand. Er strahlte Milde aus, war schlagfertig und hatte Sinn für Humor. Die Begegnung mit seinem Sohn ging ihm sehr nahe, Gefühle und Tränen setzten ihm zu.
    Der Sohn, nach dem ich mich immer gesehnt habe, sagte er geradeheraus. Wie froh ich bin, dass es dich gibt, und dir scheint die Zukunft zu Füßen zu liegen.
    Für Karl war es eine große Erleichterung, dass seine Existenz den Vater augenscheinlich nicht belastete, und das hatte letzten Endes große Bedeutung für seinen weiteren Lebensweg. Auch, dass sein Vater so stolz auf ihn war, auf sein Aussehen, auf seine Klavierkünste und anderes.
    Karol Ash war zu diesem Zeitpunkt ein sehr kranker Mann, der nicht mehr lange zu leben hatte. Er sagte Karl, dass ihm nicht mehr viel Zeit bliebe, versprach ihm aber, ihm im Hinblick auf Unterkunft und anderes die Wege zu ebnen. Nach seinem Tod würde sein Rechtsanwalt damit fortfahren. Außerdem schenkte er Karl ein Familienerbstück von seiner Mutter Anna, eine Granatkette. Karl freute sich sehr über dieses Geschenk, auch wenn er nicht wusste, was er damit anfangen sollte.
    Karl traf seinen Vater nur dieses einzige Mal, denn kurz darauf verschlimmerte sich dessen Krankheit, sodass es zu keiner weiteren Begegnung kam. Er verabschiedete sich aber mit schönen Worten telefonisch von seinem Sohn, indem er ihn als einen vom Himmel Gesandten bezeichnete. Er starb Anfang Dezember.
    Karl dachte erstaunlich wenig über die Existenz und den Tod von Karol Ash nach, denn er hatte den Gedanken, jemals einen Vater zu haben, schon lange und gründlich abgeschrieben. Trotzdem hatte es den Anschein, als würde sich in dieser Großstadt ein Gefühl der Leere in ihm breitmachen, nachdem der gerade erst gefundene Vater verstorben war – zusätzlich zu der Leere, die durch den Verlust von Una und Ástamama entstanden war.
    Ich sage dir das jetzt auch nur aus dem Grund, Una, dass du und unser Kind wissen sollt, von wem es abstammt.
    Nachdem Karl Una diese seltsame Geschichte draußen im schönen Sonnenschein erzählt hatte, begab er sich ins Musikzimmer und griff nach dem abgedankten Koffer, in dem ein kleiner Pullover, ein Notenheft mit dem Ja-Tango für Klavier, Violine, Klarinette, Nähmaschine und Sopran und ein Mathematikbuch zur Vorbereitung auf das Abitur aufbewahrt wurden. Er hatte seinen Namen auf die erste Seite geschrieben, die Schrift hatte sich seitdem nicht verändert. Unter seinen Namen hatte Una geschrieben:
Te amo – Una
.
    Karl hielt bei den drei Dingen inne: Pullover, Buch und Notenheft, siebzehn Jahre eingesperrt in einem Koffer, sodass aus ihnen Kofferzauber geworden war, ein Zauber, den er noch steigern konnte,
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