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Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
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hätte eine Chance gehabt, wenn sie aufgehört hätte zu trinken. Aber das wollte sie auf keinen Fall, oder sie konnte es nicht. Doreen war hyperrealistisch. Sie sah genau, wie sie in zehn Jahren aussehen würde, eine Alkoholikerin mit aufgedunsenem und zerfurchtem Gesicht. Das hat sie darin bestärkt, diesen Schritt zu tun.
    Sie hatte eine kleine Bar in ihrer Praxis, sagte Karl.
    Das wusste ich nicht. Bist du öfter dort gewesen?
    Nein, nur ein einziges Mal. Um mich zu bedanken und ihr das Armband zu schenken.
    Es ist ihr ins Grab gefolgt.
    Ach?
    Sie hat in ihrem Brief an mich darum gebeten. Weshalb hast du deinen Namen eingravieren lassen? Jetzt klang Liina Minuti so scharf, als hätte der Gast sich etwas zuschulden kommen lassen.
    Ich weiß auch nicht, warum. Ich weiß nur, dass sie eine wichtige Person für mich war – sie hat mich aufgefischt, als ich schon halb ertrunken war und sie anrief. Ich hätte es nicht aus eigener Kraft geschafft, mich da herauszuziehen und mich an die Frau im Nachbarhaus zu wenden, wenn Doreen mir nicht neues Leben eingeblasen hätte. Nur ihr habe ich es zu verdanken, dass ich nun endlich so etwas wie ein Leben habe. Ich wusste, wie es ist, am Leben zu sein, denn ich durfte vor siebzehn Jahren ein paar Monate lang diese Erfahrung machen. In der Zeit dazwischen war ich inwendig hohl. Ich fühlte mich nicht einmal schlecht, genauso wenig wie ein Toter. Ich fühlte überhaupt nichts.
    Genau das war es, was Doreen nicht wollte. Ich war privilegiert, ich liebte. Ich liebe. Ich durfte bei der sein, die ich liebe. Das ist zumindest keine Leere.
    Karl Ástuson in seiner eigenen Welt dachte an Leere aufgrund von Liebe und Lieblosigkeit, als Liina ihn mit einer weiteren Frage überrumpelte:
    Habt ihr miteinander geschlafen?
    Nein. Wir haben uns bloß einmal getroffen – in einer Bar. Anschließend haben wir zusammen gegessen, und sie hat mir ihre Karte gegeben. Vielleicht hatte sie den Eindruck, dass mir psychiatrische Behandlung nicht schaden könnte.
    Das hat sie mir auch erzählt, aber ich habe es nicht geglaubt. Ich ging davon aus, dass es mehr war. Ich hatte den Verdacht, dass du der Gute Liebhaber aus dem Buch warst.
    Sie hat die Bar als Romanschauplatz genommen, du solltest dich nicht dadurch täuschen lassen.
    Ich lasse mich nicht täuschen.
    Ich glaube, Romanautoren arbeiten viel weniger mit konkreten Vorbildern, als viele glauben. Sie haben viel mehr Phantasie, als dass sie es nötig hätten, irgendwelche Tatsachen direkt aus der Wirklichkeit aufzugreifen.
    Es besteht aber gelinde gesagt eine gewisse Ähnlichkeit im Aussehen, erklärte Liina in feindseligem Ton.
    Das ist es doch, was ich sage, Schriftsteller übernehmen etwas aus der Wirklichkeit und schmücken damit die Dichtung aus.
    Das stimmt. Doreen hatte viel Sinn für Schmuck. Liina Minuti lachte.
    Karl Ástuson lächelte und trank sein Glas aus. Nun sah er Liina direkt in die Augen und fragte:
    Wie schaffst du es, dich so gut zu halten?
    Ich wusste, dass ich sie nur eine kurze Zeit bei mir haben würde. Sie hielt es so lange aus, bis wir mit dem
Guten Liebhaber
fertig waren, bis das Buch erschienen war. Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass sie nicht so lange durchhalten würde, das wäre eine Katastrophe gewesen. Damit hätte ich nicht leben wollen.
    Du kannst dich damit abfinden, sie verloren zu haben?
    Es geht nicht darum, sich mit etwas abzufinden, sondern das Unvermeidliche hinzunehmen. Ich wusste, dass mein Glück nicht von langer Dauer sein würde, nicht mein greifbares Glück. Und Doreen hatte mich auch schon seit langem vorbereitet. Sie sagte mir schon vor über einem Jahr klipp und klar, dass sie kapitulieren würde. Als es so weit war, verabschiedete sie sich so schön, wie man sich nur verabschieden kann. Nach der Buchpräsentation haben wir Champagner getrunken und uns ein letztes Mal geliebt. Sie hat gesagt, dass sie mich liebt. Das war streng genommen nicht korrekt, trotzdem finde ich es schöner, dass sie es gesagt hat, und sie wusste auch, dass ich es zu schätzen wüsste. Nachdem ich eingeschlafen war, ist sie aufgestanden, hat ihre Tabletten geschluckt und ist dann wieder zu mir ins Bett gekrochen. Als ich aufwachte, schlief sie unnatürlich tief. Ich fühlte ihr den Puls und wusste, dass ihr Zustand kritisch war. Ich stand auf, um nachzusehen, was sie genommen hatte. Dann bin ich wieder ins Bett gegangen und habe sie in meine Arme genommen und sie gehalten, bis sie hinüberging. Es hat anderthalb Stunden
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