Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
Vom Netzwerk:
dies stimmte – dass es stimmen musste. Ihr wollte das Herz aufgehen und zugleich sinken. Sie fürchtete, die Erwartungen ihres Vetters zu enttäuschen, sodass er sie entweder zurückschickte oder sich einfach von ihr enttäuscht zeigte. Vielleicht täte es ihrem berühmten, wichtigen Vetter nicht leid, dass er sie gerettethatte, wohl aber, dass genau sie es war, die er gerettet hatte. Dass er kein schlaues, hübsches und anmutiges Mädchen gefunden hatte – jemanden, den gerettet zu haben ihn mit Stolz erfüllte. Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie rieb sich heftig mit dem Ärmel über das Gesicht. Sie weinte doch sonst nie, und hier tat sie es schon zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde!
    Innerhalb einer Stunde! Maianthe sprang auf und rief: »Er hat von einer halben Stunde gesprochen!« Und jetzt hätte sie wirklich am liebsten geweint, denn kaum war sie im großen Haus eingetroffen, zeigte sie ihrem Vetter schon, wie unachtsam und dumm sie war …
    »Still, Maia, es ist alles gut«, versicherte ihr Tef und tätschelte ihren Fuß, weil er nicht bis zu ihrer Schulter hinaufreichen konnte. »Denkst du, er wüsste nicht, dass wir miteinander reden würden? Reich mir die Krücke … So ist es lieb von dir! Und weine nicht.«
    Wenn ihr ein wenig zu spät kommt, wird niemand daran Anstoß nehmen, hatte ihr Vetter gesagt, wie sich Maianthe erinnerte. Also hatte Tef vielleicht recht. Sie versuchte zu lächeln, sagte aber besorgt: »Aber wir sollten uns beeilen! Im Speiseraum der Dienstboten, hat er gesagt.«
    »Also zum Speiseraum der Dienstboten«, pflichtete ihr Tef bei und rappelte sich mühsam auf.

Kapitel 1
    Sechs Jahre später
    Tiefenau, die größte Stadt im ganzen weitläufigen Delta, war gekennzeichnet durch breite Straßen, uralte Zypressen und Sumpfeichen. Bohlenwege säumten die wichtigen Straßen und ermöglichten es den Fußgängern, dem Winterschlamm zu entgehen, der manchmal sogar über das Kopfsteinpflaster stieg. Tiefe Abflussgräben verliefen unter den Bohlenwegen, sodass nur die mächtigsten Frühlings- und Herbststürme die Stadt überfluteten. Trotz allem waren Winter, Frühling und Herbst die Jahreszeiten, in denen Tiefenau voller Energie war und dort das Leben brodelte.
    Im Sommer, wenn die Tage lang waren und die Luft reglos und schwer auf der Stadt lastete, wurde Tiefenau so schläfrig wie eben diese Luft. Violette und rote Blumen prangten auf allen Balkonen, und jedes Haus in Tiefenau schien wenigstens einen zu haben. Dicke Hummeln summten bedächtig zwischen den Blüten, und alle Menschen in Tiefenau hängten kleine Töpfe voller Zuckerwasser aus, um die großen Purpurrückenkolibris und die kleinen Kolibris mit den roten Kehlen zu ihren Balkonen zu locken. Größere Vögel huschten zwischen den Zweigen der mächtigen Bäume umher und nisteten in den Moosbändern, die diese schmückten.
    Vor Jahren hatte Tan einen langen, trägen Sommer in Tiefenau verbracht, und diese Zeit hob sich hell und leuchtend in seinen Erinnerungen hervor. Er wünschte sich sehnsüchtig, es wäre jetzt Sommer. Im Delta wurde es selten wirklich grimmig kalt, aber es erschien ihm jetzt sicherlich kalt genug. Er knietezitternd und halb erfroren im schmutzigen Stroh seiner Zelle und bemühte sich, nicht zu lachen. Nichts an seiner Lage war auch nur im Mindesten erheiternd, außer dass sie so völlig und zutiefst grotesk war.
    Zum Gefängniswärter, einem bulligen jungen Mann mit breiten Schultern, großen Händen, der ihn im Moment mit einem Ausdruck grimmigen Widerwillens ansah, sagte er: »Ich vermute, jeder bittet Euch, Nachrichten an Freunde zu überbringen, und verspricht Belohnung für einen solchen Gefallen. Aber bittet Euch auch jeder, eine Nachricht an den Fürsten selbst zu überbringen? Und nicht mal eine Nachricht. Nur einen Namen. Ich schwöre Euch, er wird diesen Namen kennen. Ich schwöre Euch, er wird mich sehen wollen. Er muss mich sehen! Es ist …«
    »Von verzweifelter Dringlichkeit, ich weiß«, unterbrach ihn der junge Wärter. Sein Kopf ruckte – eine Geste, die zugleich Hohn und Unsicherheit ausdrückte. »Natürlich ist es das. Aber im großen Haus sind sie beschäftigt. Außerdem verstößt es gegen die Bestimmungen. Das reicht mir! Denkt Ihr, ich möchte für immer in dieser Grube festsitzen? Ich möchte Euch allerdings davor warnen, Euch die Mühe zu machen und Jer zu bestechen, wenn er seinen Dienst antritt. Er würde Euer Geld nehmen und Euch nichts dafür geben.«
    »Hätte ich

Weitere Kostenlose Bücher