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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
Autoren: Rachel Neumeier
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wahrscheinlich besser, wenn du mit einem hübschen und bezaubernden Tier reden könntest – und nicht mit einem nützlichen.«
    Das stimmte. Maianthe wünschte sich, sie wäre selbst hübsch und bezaubernd wie ein Gimpel. Vielleicht würde ihr Vater ja … In dem Moment bewegte sie abrupt die Hand, und der Vogel flatterte empor, ein Aufblitzen von Gelbbraun und Purpur. Augenblicklich vergaß sie den nur halb ausgebildeten Gedanken.
    Als Maianthe neun war, brach ein fürchterlicher Sturm vom Meer her über das Delta herein. Er entwurzelte Bäume, riss Dächer von Häusern, überflutete Felder und ertränkte Dutzende von Menschen, die zufällig in die Bahn seiner ärgsten Wut gerieten. Zu den Toten gehörten Maianthes Bruder und ihr Vater, der versucht hatte, seinen Sohn vor den heranbrausenden Fluten zu retten.
    Maianthe war die einzige Erbin des Vaters. Tef erklärte ihr das. Er legte ihr auch dar, warum plötzlich drei Onkel und fünf Vettern – von denen Maianthe keinen kannte, die aber allekleine Söhne hatten – auftauchten und sich darum stritten, wer von ihnen am besten geeignet war, Maianthe ein Zuhause zu bieten. Das Mädchen versuchte zu verstehen, was Tef ihm erläuterte, aber alles war auf einmal so verwirrend. Die Auseinandersetzung hatte etwas mit den Söhnen und mit ihr zu tun.
    »Ich soll … bei einem von ihnen leben?«, fragte sie besorgt. »Irgendwoanders? Kannst du nicht auch mitkommen?«
    »Nein, Maia«, antwortete Tef und streichelte ihr mit der großen Hand die Haare. »Nein, das kann ich nicht. Keiner deiner Onkel oder Vettern würde das erlauben. Aber es wird dir gut gehen, verstehst du? Ich denke, es wird dir bei deinem Onkel Talenes gefallen.« Tef glaubte, dass Onkel Talenes als Sieger aus dem Streit hervorgehen würde. »Du hast dort seine Söhne, mit denen du spielen kannst, ein Kindermädchen, das länger als nur eine Jahreszeit bleibt, und eine Tante, die dich mögen wird.«
    In einem Punkt behielt Tef recht: Letztlich besiegte Onkel Talenes die anderen Onkel und Vettern. Hierfür griff er auf die simple Notlösung zurück, mithilfe seiner dreißig Waffenknechte – kein anderer hatte so viele mitgebracht – Maianthe zu entführen und wegzubringen, damit die Übrigen ihren plötzlich sinnlos gewordenen Streit ohne sie fortführen mussten.
    Aber in allen anderen Punkten behielt Tef nicht recht.
    Onkel Talenes wohnte mehrere Tagesreisen von Kames entfernt, wo Maianthes Elternhaus stand. Er lebte vor den Toren von Tiefenau in einem großen, von hohen Mauern umringten Haus, das sich durch Mosaikböden, Buntglasfenster und einen schönen Springbrunnen auf dem Hof auszeichnete. Der Brunnen war ringsum von Blumenbeeten gesäumt, über deren Ränder die leuchtenden Blüten förmlich hinwegquollen. An drei mächtigen Eichen auf dem Hof hingen Käfige mit umherflatternden Vögeln, die bezaubernde Singstimmen besaßen. Maianthe durfte jedoch nicht im Springbrunnen planschen, egalwie heiß es war. Es war ihr jedoch erlaubt, auf dem geharkten Schotter unter den Bäumen zu sitzen, solange sie darauf achtete, ihre Kleidung nicht zu beschädigen. Aber sie konnte dem Gesang der Vögel nicht lauschen, ohne dabei Kummer wegen der Käfige zu empfinden.
    Außerhalb des Hofs fand man hier keinerlei Gärten. Die wilde Sumpflandschaft des Deltas begann direkt vor dem Tor und zog sich ununterbrochen vom Haus bis zum Meer. Das zähe Salzwassergras schnitt einem in die Finger, wenn man mit der Hand hindurchfuhr, und Moskitos summten im drückenden Schatten.
    »Geh nicht in den Sumpf!«, warnte Tante Eren ihre Nichte. »Dort gibt es Schlangen und giftige Frösche; außerdem gerätst du schnell in Treibsand, wenn du den Fuß an die falsche Stelle setzt. Schlangen, hörst du? Bleib nah beim Haus. Ganz nah beim Haus! Hast du mich verstanden?« So sprach sie üblicherweise mit Maianthe: als wäre ihre Nichte zu jung und zu dumm, um irgendetwas zu begreifen, wenn es nicht ganz einfach formuliert war und mit Nachdruck wiederholt wurde.
    Tante Eren liebte Maianthe nicht. Sie mochte Kinder generell nicht, aber ihre Söhne gaben nicht viel auf die Launen der Mutter. Maianthe hingegen wusste nicht, welcher dieser Stimmungen sie gefahrlos die kalte Schulter zeigen durfte und auf welche sie achtgeben musste. Sie wollte es ihrer Tante recht machen, aber sie war zu nachlässig und nicht schlau genug, obendrein schien sie einfach nicht lernen zu können, wie sie es angehen musste.
    Tante Eren stellte auch kein
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