DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
um einen zerknirschten und reuigen Eindruck.
»Ihr denkt, Fürst Bertaud würde sich freuen, Euren Namen zu hören, wie? Unwahrscheinlich! Diebstahl, Schlägerei, Mord – was habt Ihr sonst noch auf dem Kerbholz? Denkt Ihr, der Fürst würde Euch das alles aufgrund irgendwelcher Blutsbande vergeben?« Der Hauptmann schien daran zu zweifeln. Mit grimmiger Zufriedenheit fuhr er fort: »Ihr denkt, er wünscht gerade jetzt , irgendeinen unehelichen Vetter oben im großen Haus zu empfangen, wo dort auch der Haushalt des Königs abgestiegen ist? Hättet Ihr auch nur so viel Verstand wie eine Steckrübe, dann würdet Ihr hoffen, dass kein Richter vor dem nächsten Monat – wenn der König nach Tihannad zurückgekehrt ist – Zeit für Euch findet, falls Ihr irgendeine Hoffnung hegen möchtet, die Gnade Fürst Bertauds zu empfangen.«
Tan starrte den Hauptmann an. Langsam fragte er: »König Iaor ist hier?«
»Das wusstet Ihr nicht?« Diesmal klang der Hauptmann ehrlich verblüfft. »Erde und Meer, Mann, wo habt Ihr die zurückliegenden sechs Jahre verbracht? So lange liegt es zurück, dass Seine Majestät das erste Mal seine alljährliche Reise durchs Land für einen Monat oder mehr im Delta unterbrochen hat! Seit Fürst Bertaud nach Hause zurückgekehrt ist, kommt der König regelmäßig hierher.« Er wirkte grimmig erfreut darüber, wie er Tans Hoffnungen vernichtete.
»Sollte Bertaud meinen Namen nicht mehr kennen, dann wird es Iaor«, erklärte Tan sofort, der hoffte, dass er damit recht behalten würde.
Der Hauptmann schnitt ein finsteres Gesicht. »Fürst Bertaud, Mann, und König Iaor, Mann! Zeigt etwas Respekt!«
Tan bat mit einer Verbeugung um Entschuldigung. »Ich bitte um Verzeihung, ehrenwerter Hauptmann. Ich wollte nicht respektlos sein.« Er versuchte, sich an einen Namen zu erinnern, den sowohl Bertaud als auch der König vielleicht kannten.
»Nun«, fuhr der Hauptmann fort und musterte ihn streng, »und welcher Name ist das, den sie dort oben im großen Haus kennen?«
»Teras, Sohn von Toharas«, antwortete Tan und hoffte, dass es stimmte.
»Hm.« Der Hauptmann drehte den Kopf und musterte den jungen Wärter kalt. Der junge Mann richtete sich kerzengerade auf und schluckte. »Da sowohl du als auch dieser Gefangene so um seine Sicherheit besorgt seid, kannst du ja nach Ende deiner Schicht bleiben und ihn im Auge behalten«, sagte der Hauptmann. »Natürlich ohne zusätzliche Bezahlung.« Er ging hinaus.
Der junge Wärter blickte Tan verdrossen an. »Vielen Dank auch. Ich sollte Euch blutig schlagen.«
»Euer Hauptmann übermittelt vielleicht doch meinen Namen ans große Haus«, flüsterte Tan. »Eine solche Chance ist Schläge wert. Ebenso Eure wachsame Gegenwart hier. Denkt Ihr vielleicht, meine Warnung wäre nicht ernst gemeint gewesen? Gut möglich, dass Ihr mir heute Abend das Leben gerettet habt.« Er senkte den Kopf und verkündete in förmlicher Weise: »Ich stehe in Eurer Schuld, und Ihr könnt sie dereinst einfordern.« Er blickte erneut auf, lächelte und fuhr fort: »Auch wenn Euch eine solche Zusage im Augenblick nicht besonders eindrucksvoll erscheint. Wie lautet Euer Name, wenn ich mich erkühnen darf, danach zu fragen?«
Der Wärter schien vorsichtig beeindruckt und nicht sehr geneigt, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Er zögerte einenAugenblick lang und antwortete dann: »Tenned, Sohn von Tenned.«
»Tenned, Sohn von Tenned, ich danke Euch.« Tan verbeugte sich. Als der junge Mann weiterhin nicht den Eindruck machte, der Drohung Taten folgen zu lassen, setzte sich Tan ins Stroh, schlang die Arme um sich und versuchte, nicht seine letzten Kräfte durch Zittern zu vergeuden. Tenneds Anwesenheit bot ihm tatsächlich Trost und Schutz. Tan hätte sogar gewagt zu schlafen, wäre es nicht so kalt gewesen.
Tenned betrachtete ihn lange. Dann bewegte er die Kiefer, hängte die Lampe an einen Haken hoch an der Wand und ging hinaus.
Er kehrte jedoch wenige Augenblicke später zurück und brachte eine abgenutzte Decke und ein mit Wurst belegtes Brötchen. Beides stopfte er durch die Gitterstangen zu Tan hinein.
Trotz seiner Verblüffung fing Tan das Essen und die Decke auf, bevor beides zu Boden fiel. Farbe stieg dem Wärter ins Gesicht, als Tan ihn anstarrte, und ließ ihn noch jünger erscheinen. Tan schüttelte den Kopf. »Ihr braucht wirklich einen Platz in anderer Gesellschaft. Ihr seid zu freundlich gesinnt, um …« – er deutete auf die Zellenwände und meinte damit das
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