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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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aufbringst? Willst du auf der Straße landen?«
    Â»Du hast leicht reden, du sitzt hier und liest«, sagte Mutter, zu schnell und zu laut. »Er bringt es nicht fertig, einem in die Augen zu sehen, wenn er mich sieht, dreht er sich weg, dabei habe ich ihm gar nichts getan. Ein Nichtsnutz, ich verstehe nicht, wie er es dorthin geschafft hat, wo er ist.«
    Â»Wieso wunderst du dich, als wäre er der Einzige«, antwortete der Onkel gereizt, setzte die Brille wieder auf und vertiefte sich in sein Buch.
    *
    Nach der Kindstaufe kamen wir die ganze Nacht nicht zum Schlafen. Sie hatten das Radio bis zum Anschlag aufgedreht, grölten und sangen. Als sie besoffen waren, kam der junge Vermieter an unsere Tür und trommelte mit den Fäusten dagegen.
    Â»Raus aus meinem Haus, ihr verdammten Faschisten!«, brüllte er. »Euch zeig ich’s …«
    Â»Georgel, komm doch herein, Georgel«, übertönte Cornelias Stimme das Gebrüll und Getrampel.
    Er stieß sie fluchend zurück, sie aber bettelte mit weinerlicher Stimme weiter: »Komm herein, du erschreckst das Kind.«
    Â»Lasst sie, die sind halt betrunken«, flüsterte Onkel Ion. Er hatte den Kopf im Kissen vergraben und ächzte vor verhaltener Wut. Nur Mutter war aufgestanden und ging im Zimmer auf und ab. Im Dunkeln sah ich unter dem verwaschenen Nachthemd ihre weichen Brüste wippen, gegen die ich mich als Kind so gerne gestemmt hatte, wenn Mutter mir die Schuhe anzog.
    Nachts schnarchte Onkel Ion. Ich weiß nicht, ob er immer schon geschnarcht hatte, aber einmal erwachte ich, als der Vermieter und seine Frau in den Flur polterten. »Du gottverdammte Hure, du kannst es nicht lassen, ich bring dich um.«
    Nur ich war wach geworden, der Onkel schnarchte weiter. Damals hörte ich sein Schnarchen zum ersten Mal, konnte nicht wieder einschlafen und wälzte mich in den warmen Bettlaken, die schon recht fadenscheinig waren und zu zerreißen drohten. Mit den Zehenspitzen tastete ich die zahlreichen Knoten in der Matratze ab und lauschte den Schlägen der Pendeluhr, die dann und wann aus dem Flur kamen. Ich spürte im Voraus, wenn es wieder so weit war, und hielt den Atem an, trotzdem fuhr ich bei jedem Schlag schmerzlich zusammen, als wäre ich gerade unsanft geweckt worden. Dann begann ich die Doppelschläge zu zählen, wenn sie aber schließlich ausklangen, floss die Nacht nicht weiter, sondern breitete sich wieder endlos aus.
    Â»Wieso wirfst du dich denn dauernd herum, sei doch mal still«, brummte Mutter schlaftrunken und schubste mich feindselig mit ihrer weichen, unangenehm warmen Schulter.
    Der Onkel schnarchte lautstark weiter, hin und wieder mit einem schrillen Pfeifton zwischendurch. Dann begann in der Nachbarschaft ein Hund zu heulen, gewissenhaft sandte er in regelmäßigen Abständen seinen schaurigen Ruf zum Himmel. Da dachte ich an Vater, erinnerte mich an das Paket, das Mutter zuletzt für ihn zurechtgemacht hatte, mit Speck, Wollsocken, Zigaretten der Marke Mărăşeşti, und wie sie am Tag danach damit zurückgekehrt war. Die haben es nicht angenommen, sagte sie und dann zwei Tage gar nichts mehr. Vielleicht war er gar nicht in ein anderes Gefängnis verlegt worden, wie Onkel Ion mir damals sagte, vielleicht war er wirklich schon gestorben, dachte ich und begann zu weinen, still, lautlos. Am Fenster erschienen die ersten morgendlichen Lichtflecken, als ich unmerklich, erleichtert vom Glück der Tränen, einschlief.
    Seither hatte ich Angst vor dem Schnarchen des Onkels. Ich weiß nicht, ob ich wirklich an Schlafmangel litt, mir schien es aber so. Ständig zählte ich die Stunden, die ich geschlafen hatte, und versuchte früher schlafen zu gehen. Solange sie im Zimmer noch zugange waren und miteinander flüsterten, zog ich mir ein Kissen über den Kopf und vernahm nur noch dumpf die Pendeluhr. Nein, sagte ich mir, solange es hell ist, wird es nicht klappen. Irgendwann kam auch Mutter, sie hatte fertig gespült oder vorgekocht, und die alten Stahlfedern des Schlafsofas krachten unter ihr, während sie ächzend ihre gewohnte Stellung suchte. Ich hörte den Atem des Onkels lauter werden, meine Anspannung wuchs, bis endlich der erste Schnarchton kam. Dann entspannte ich mich, ging leise bis zu der Liege am Fenster und zog ihn an den dicken, rauen Zehen. »Dreh dich zur Seite«, flüsterte ich, »dreh dich zur Seite.« Dabei zupfte
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