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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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ich hilflos an meinem weichen Pyjama.
    Â»Wenn du mich weckst«, sagte er mir morgens, »kann ich bis zum Morgen nicht mehr einschlafen.«
    Meistens aber drehte er sich zur Seite und atmete, ohne aufzuwachen, schwer keuchend weiter.
    *
    Als ich dann morgens zur Schule ging, waren wir nachmittags immer zu dritt im Zimmer. Onkel Ion war von der Abendschule zum regulären Unterricht befördert worden, zwei Jahre nachdem ein neuer Direktor ernannt worden war, mit dem Onkel Ion gut konnte, wie Mutter sagte. Der Direktor absolvierte ein Fernstudium, und vor den Prüfungen kam er zu Onkel Ion, der ihm die Arbeiten schrieb. Am meisten aber schätzte er Onkel Ion wahrscheinlich, sagte Mutter, weil dieser keinen Auftrag verweigerte und überallhin ging, wohin man ihn schickte.
    Â»Am Ende macht man’s ja dann doch«, sagte er, lehnte sich im Stuhl zurück und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, die in dem Maß höher wurde, in dem das schüttere graue Haar den Kopf verließ. »Es hat keinen Sinn, sich erst zu weigern und später, weil es schließlich sein muss, doch zu gehen. Damit gerätst du in einen gewissen Ruf, und die vergessen dich nicht.«
    Â»Keiner sagt, du sollst nichts tun«, fuhr Mutter auf, »aber das ist ja kein Zustand, dass du keinen einzigen Sonntag frei hast und alle Kulturheime abklappern musst.«
    Â»Mach dir keinen Kopf, da gehen auch andere hin, aber die sind jung«, sagte er und sackte finster in sich zusammen. »Die tragen kein Zeichen auf der Stirn. Die haben kein Sündenregister wie ich.«
    Â»Du bist vielleicht gut«, sagte Mutter mit heruntergezogenen Mundwinkeln, die enttäuschtes Erstaunen ausdrücken sollten. »Du bist wirklich gut. Was hast du denn verbrochen, deinen Vater umgebracht oder was? Statt dich zu verteidigen wie andere, setzt du dich selbst in ein schlechtes Licht.«
    Â»Mach ich gar nicht!«, erwiderte er aufgebracht. »Ich setze mich nicht in ein schlechtes Licht. Ich komme gut aus mit allen, selbst mit dem Direktor. Wieso schaust du mich so an?«, fragte er angesichts ihres ironisch mitleidigen Lächelns. »Als der Stundenplan gemacht wurde in diesem Jahr, hat er denn da nicht darauf bestanden, dass ich weniger Freistunden bekomme, um keine Zeit zu verlieren, weil ich so weit von der Schule wohne? Und das, ohne dass ich ihn darum gebeten hätte. Aber so bist du halt, du schaust dich in einem fort um, ob es jemandem bessergehen könnte als dir.«
    Hatte er sich in der Zeit, als er gemieden wurde und sich bedroht fühlte, abgefunden mit dem Gedanken, dass sein Leben sich nach anderen Regeln richten musste als das anderer, oder hatte er immer schon mit kindlichem Stolz und Dankbarkeit als Geschenk angenommen, was andere als normal und angemessen betrachteten? Ich habe damals nicht darüber nachgedacht und es auch später nicht herausgefunden. Wenn er sich aber plötzlich durch ein unerwartetes Wort in seiner Wehrlosigkeit überrumpelt fühlte, konnte er sich mit dieser Art Bosheit wappnen, und nun sah er Mutter voller Genugtuung an. In ihrem Gesicht machte sich eine gekränkte Ratlosigkeit breit, bis ihre Züge sich schließlich zum Weinen verzerrten.
    Â»Wenn auch du das sagst, was kann ich dann noch von anderen erwarten? Wo ich doch alles, was ich tu, nur für euch tu … Ich selbst erwarte schon lange nichts mehr vom Leben. Aber das glaubt einem keiner, und die eigenen Leute noch weniger als Fremde.«
    Â»Dann beklag dich doch bei denen.«
    Das hatte er auch noch draufsetzen müssen, und jetzt ordnete er die Sachen auf seiner Tischhälfte, mit trotzig verfinsterten Ringen um die Augen und verkniffenen Lippen.
    Empört sah ich von meinen Schulheften auf, meine Augen funkelten vor Zorn: »Wie kannst du ihr so etwas sagen, ist sie denn nicht geplagt genug?«, fuhr ich ihn an, als hätte ich mit meiner Mutter nicht selber schon viel öfter Streit gehabt.
    Sie ging in die Küche, knallte heftig die Tür hinter sich zu, aber nun, wo sie weg war, konnte ich mich nicht mehr so recht an meinem Einsatz freuen.
    Â»Mit euch gibt’s kein Arbeiten in diesem Haus.« Allerdings klang seine Stimme dabei schon wieder zaghaft. In dem anschließenden Schweigen spürte ich die Unruhe, die ihm nach jedem Streit zu schaffen machte, es war sein altes Unvermögen zu kämpfen, wie immer versuchte er, seine Unsicherheit zu überspielen, indem er

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