Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag
Autoren: Gabriela Adamesteanu
Vom Netzwerk:
zusammen und warf Biţă böse Blicke zu.
    Â»Hast du schon gehört?« Mutter sah sich ungeduldig um, ob ich noch in der Nähe war … »Man sagt, sie hätten sie schon gefasst und es seien Soldaten. Andere sagen, es seien irgendwelche Halunken aus Breaza gewesen …«
    Â»Wovon redest du überhaupt, meine Liebe?«, fragte Onkel Ion lustlos und raschelte mit den Zeitungen, die Biţă mitgebracht hatte und die nach frischem Papier und Druckerschwärze rochen.
    Â»Von der Schaffnerin, die sie heute Morgen hinter der Brücke an der Einfahrt in die Stadt gefunden haben sollen. Heute Nacht haben die welche überfallen und sich an ihr vergangen. Entsetzlich«, klagte Mutter und presste die Hände an die Schläfen.
    Â»Irgendeiner von denen wird sie heiraten«, verkündete Biţă feierlich, stand auf und streifte die Ameisen, die vom Baum gefallen waren, von seiner Hemdbrust.
    Â»Wer wird die noch nehmen«, sagte Mutter. Es war eher ein Flüstern, sie machte große Pausen und wählte möglichst neutrale Worte, wie um zu zeigen, dass solche Dinge nur in einer anderen Welt passieren können, die mit unserer überhaupt nichts zu tun hat. »Wer wird die noch nehmen … Am Schluss haben sie ihr Glassplitter hineingesteckt. Einige sagen, sie liegt im Koma.«
    Â»Menschenskind, passieren denn auch hier solche Sachen?« Gleichmütig streifte sich Biţă den hellbraunen englischen Wollpulli aus einem Westpaket über. Er setzte sich wieder und gähnte. Es war plötzlich dunkel geworden, wir sahen uns gar nicht mehr, nur die Zigarette von Onkel Ion glomm, wenn er daran zog, wie ein rotes Samenkorn.
    Â»He, gebt ihr den Leuten, die in euer Haus kommen, eigentlich nichts zu essen?«, fragte Biţă, und sofort standen wir auf und eilten in die Küche.
    *
    Mit einem Bürstenstummel an einem geschwärzten Silbergriff fegte Mutter die Krumen in einen schmutzigen Teller. Es war wieder still geworden, alle warteten wir, dass sie fertig wurde, und verfolgten in ihren Bewegungen den Übergang zu den meistersehnten Stunden des Abends. Ich war mit schlaftrunkenen Augen auf einem Küchenhocker sitzen geblieben.
    Â»Gehst du nicht schlafen?«, fragte mich Onkel Ion, vergaß mich aber gleich darauf.
    Â»Lasst sie doch in Ruhe, Menschenskinder, und bemuttert sie nicht dauernd bis zum Ersticken! In ihrem Alter kommen die Bukaresterinnen morgens vom Tanzen!« Biţă legte mir den Arm um die Schultern, und ich vergrub mein Gesicht in seinem schützenden weichen Pulli. Der Duft von Lavendel und Palmolive aus der anderen Welt war dermaßen scharf, dass ich, verstört von der Wirkung, benommen um mich blickte.
    Â»Alle haben sie verruchte Frisuren, tragen Turnschuhe mit weicher Sohle und Fischerhosen, die gehen gerade mal bis hier …«
    Während Biţă sein Bein schwerfällig zwischen Stuhl und Gasflasche reckte und die Hose bis fast zum Knie hochzog, löste ich mich von ihm, faltete die frischen Zeitungen zusammen und legte sie sorgfältig zu meiner Aussteuer, wie Onkel Ion den Inhalt des Holzkoffers nannte, in dem ich die vor dem Müll geretteten Zeitungen sammelte.
    Â»Für morgen könnte ich ein paar Schnitzel machen, aber ich weiß nicht, dieses Fleisch ist etwas fett …« Mutter kehrte uns den Rücken, während sie sich an ihren Töpfen zu schaffen machte. Onkel Ion und ich schimpften beide mit ihr, dass sie nur stur ihren eigenen Gedanken nachhänge. Biţă wartete verständnisvoll und in aller Ruhe ab, bis Stille eintrat.
    *
    Â»In Jalta, als Stalin, Roosevelt und Churchill …«
    Onkel Ion kräuselte gespannt die vollen Lippen, nur der Fuß wippte unter dem Tisch, er allein lauschte gewissenhaft und verpestete die stickige Luft mit dem Rauch der Zigarette, die er zwischen den tabakgelben Fingerspitzen vergessen hatte. Mutter hatte sich längst verzogen, um die Matratze für die Nacht zu richten, und ich war nicht mehr imstande zuzuhören, mein Kopf rauschte vor Schläfrigkeit. Aber ich wollte nicht dem Abend ein Ende setzen, indem ich ging.
    Zwischen meinen schweren Lidern zeichneten sich die politischen Intrigen, die Mode der Bukaresterinnen und die Kriege der Welt ab, wie sie durch die Ritzen der Wände in die Sommerküche drangen, in die stechende Hitze des Gasbrenners, auf dem Mutter nun das Essen für den nächsten Tag
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher