Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag
Autoren: Gabriela Adamesteanu
Vom Netzwerk:
ich gewöhnlich nur empört darüber, dass er ein anderer war als ich. Der Augenblick, als wir uns voneinander lösten, als meine Gedanken ihn plötzlich verstörten, sollte mir unbegreiflich bleiben. Es reichte, dass ich, getrieben von jener schuldbewussten Unrast, die in der reglosen Luft der sommerlichen Sonntage nur mich allein erfasste, sobald die Sonne den namenlosen Ruf des Abends hinter die einstöckigen Häuser des Korsos sandte, stillschweigend nach dem guten Kleid und den guten Schuhen suchte, schon spürte ich seinen bösen Blick verhaltener Gereiztheit von dem vertrauten, mit dicken Büchern überhäuften Tisch, die Ringe unter den Augen und die vom Alter in die Breite gezogenen Lippen.
    Es waren andere Sonntage als jene, an denen ich, der Zeit enthoben, auf der Gasse gespielt hatte, nur Mutters hagere Gestalt bewegte sich genauso in der Enge der Sommerküche und trat hin und wieder ins Freie, um das Spülwasser hinter dem Haus auszuschütten, wo der Hof mit ein paar verkrüppelten Pflaumenbäumen, schütterem Gras und schmutziger Kamille abfiel. Damals riefen wir uns gegenseitig und rauften uns zusammen, vor allem wenn wir das träge Läuten der Kirchenglocke vernahmen. Beim Laufen spürte ich unter den Sandalen die von Schritten abgeschliffenen Flusskiesel, mit denen die Straße gepflastert war, und wenn wir dann dort waren, hingen wir dichtgedrängt am Zaun des Kirchhofs und pressten die staub- und rotzfleckigen Wangen zwischen die von der Sonne erhitzten rostigen Eisenstäbe. Von oben hallten wie ein runder Regen die Rufe der Glocke, süß und faulig roch es nach dem Rauch der Kerzen, nach welkenden Blumen und Weihrauch, und wir drückten uns vorsichtig zwischen den gebeugten Verwandten herum. Pergamentene Gesichter, tränenüberströmt, Strümpfe und Kopftücher aus durchsichtigem schwarzem Gewebe. Hin und wieder wurde es einer Frau übel, dann wurde sie unter Geraune hinausgebracht, an die vor Sonne und Staub flimmernde Luft. Aus dem kühlen Kirchengestühl begafften wir unermüdlich das bläuliche oder gelbliche Gesicht des Toten, die von der inneren Leere gestrafften Züge und die Schuhsohlen, die senkrecht aus dem Haufen von Blumengebinden ragten.
    Â»Wie schön er ist, wie wenn er schläft«, flüsterte man wehmütig im Umkreis.
    Doch wir stellten keine Vergleiche an, sondern verharrten schaudernd vor Neugier unter den knochigen Heiligen der Vorstadtkirche in ihren grellbunten Gewändern.
    Spät setzte sich der Leichenwagen dann in Bewegung, verschlissene Troddeln baumelten an den Umhängen der Pferde, deren Fell unter Mückenstichen bebte, und an den Vorhängen, die an den Ecken der Glaswände von ineinander geknäulten, geschwärzten Engeln gehalten wurden, zwischen denen die Kränze mit steifen Papierblumen in den grellen Farben billiger Bonbons und bronzen beschrifteten Bändern hingen. Die Verwandten handelten im Flüsterton aus, wer in die abgezählten Kutschen steigen durfte, die sich nacheinander im Schritt in Bewegung setzten. Langsam verklang das Wehklagen auf dem Markt, dafür wurden die Stimmen im Trauerzug um so lauter. Anfangs begrüßten die Leute sich nur gegenseitig, dann bildeten sie Grüppchen, in denen die Unterhaltung immer lebhafter wurde, je weiter sie die Straßen der Stadt hinaufstiegen. Eine Weile hingen wir noch am rostigen Zaun des Kirchhofs wie zu Anfang; als wir dann unschlüssig auseinandergingen, trug jeder von uns, ohne es zu merken, die aufgeblähte Leere des Nachmittags mit sich.
    *
    Er hätte also merken müssen, dass in seinem Leben nichts geklappt hatte. Zumindest mir erschien das später so. Aber hatte Onkel Ion jemals darüber nachgedacht? Vergeblich suchte ich noch Jahre später nach Anzeichen, dass es ihn bekümmert hätte. Auf dem obersten Brett seiner Bibliothek lag zwischen den Aktenordnern, die er einmal im Monat von Staub und Kohlenasche säuberte, eine Schachtel, deren Deckel mit roten und goldenen Schnörkeln verziert und deren Wände zerbeult waren. Sie duftete immer noch nach ausländischem Pfeifentabak. Darin lagen dünne Heftordner ohne ein einziges Bild, auf der ersten Seite buchstabierte ich seinen Namen, der mit einem Mal ehrwürdig klang: Prof. ION SILIŞTEANU .
    Â»Geh da nicht dran, das sind Auszüge aus den Referaten deines Onkels, er hat keine mehr davon«, rief Mutter. Für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher