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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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angesetzt hatte, damit sie den Morgen frei hatte.
    Als wir auf die Schwelle traten, war Mitternacht schon lange vorbei, der nahende Herbst staubte in der durchscheinend blauen Luft.
    Â»Lass mal, morgen ist auch noch ein Tag«, sagte Onkel Ion, hustete ein paar Mal rasselnd und ging schwerfällig die Treppen zum Haus hinauf.
    Die Grillen zirpten überwältigend, und da war so viel Licht unter den unwirklichen Sternen … Mit heiserem Lallen durchbrach ein Besoffener die malerische Stille im Hintergrund einer Welt der Anschläge und Kriege, an deren Rand ich schlafen ging, um in Träume einzutauchen, die alle Erwartungen übertrafen.
    *
    Â»So einen Kaffee habt ihr in eurem Leben noch nicht getrunken!«, rief Biţă vom Hof.
    Durch die offenen Fenster brach der morgendliche Ausnahmezustand: Wir hatten Besuch! Biţă war immer noch bei uns! Fröhlich stand ich vom Sofa des Onkels auf, in den verkrampften Rückenmuskeln den Abdruck der gebrochenen Feder, die mich die ganze Nacht gequält hatte. Mutter klopfte am Eingang das in die kalte Sonne gehängte Bettzeug aus und rollte auf Knien die Matratze vor dem Tisch zusammen, auf der Onkel Ion geschlafen hatte, dann stellte sie die zur Seite geräumten Stühle zurück.
    Â»Diesmal hast du ihn wirklich toll hingekriegt«, säuselte Onkel Ion und schlürfte von dem Getränk, dessen Aroma die Luft des Hofes veredelte.
    Â»Lass dir sagen, du musst ihn halt, komme, was da wolle, noch eine Weile abgedeckt sacken lassen, das weiß ich von einer richtigen Dame, einer großen Kaffeetrinkerin … Weißt du, wie die den Kaffee macht? Die spült das Kännchen nie aus, wann immer man hinkommt, hat sie es auf dem Feuer, sie trinkt am Tag zehn davon, und die tun ihr überhaupt nichts …«
    *
    Im trägen Licht des Sonntags zogen wir durch die Stadt. Die Häuser summten von den Leuten darin, dann und wann drangen die dumpfen Schläge der Teppichklopfer zu uns. Insgeheim beobachtete ich den Korso, der zwischen den geschlossenen Läden erstarrt war, und die Gruppen lärmender Gymnasiasten vor dem großen Kino. Jederzeit konnte dort Mihai mit seinem ostentativ wiegenden Gang auftauchen, und manchmal stockte mir der Atem, um sich dann erleichtert wieder zu entfalten. Nein, das war er nicht, es hatte mir nur so geschienen, fast freute ich mich, begann dann aber wieder Ausschau zu halten in der Weite, wo es von Menschen nur so wimmelte. Wahrscheinlich ist er gestern Abend hier gewesen, sagte ich mir im Bewusstsein, wie lächerlich meine Hoffnung war, ihm gerade jetzt zu begegnen. Nur zu gern hätte ich gesehen, wie er gegrüßt und dabei mit erstaunten Augen das gebräunte Gesicht und das an den Schläfen ergraute Haar von Biţă, seine Kleider aus dem Westpaket und den lockeren Bukarester Schwung seines Arms um meine Schultern gemustert hätte. Dazu kam es aber nicht, und ich stieg weiter hinauf zum Stadtwäldchen Crâng, melancholisch gestimmt vor so viel Ungerechtigkeit, die von geheimer Hand gesteuert wurde.
    Â»Hier haben sie sie wahrscheinlich gefunden …«, flüsterte Mutter.
    Â»Wen?«, fragte Onkel Ion, der mit auf dem Rücken verschränkten Händen hinter uns herging.
    Â»Die Schaffnerin«, antwortete Mutter.
    Hinter den betagten Villen des ehemaligen Nobelviertels der Stadt wurden die Häuser immer kleiner und duckten sich in den abschüssigen Obstgärten, deren Bäume voller verschrumpelter schwarzer Pflaumen hingen. Die fast noch sommerliche Sonne pulste in meinem von der sonntäglichen Schwüle erhitzten Körper. Unter unseren Tritten raschelten die ersten welken Blätter, und zwischen den blinzelnden Lidern gewahrte ich die schier endlosen Stämme der Bäume, die mit stiller Gewalt in den Himmel ragten. Schwarz zeichneten sich durchbohrte Herzen von ihrer grauen Rinde ab, in den Rissen waren die klebrigen Säfte geronnen. Irgendwo gab es die Welt der blutigen Geschichte und jener unbegreiflichen Vergewaltigung, doch ihre Konturen traten zurück vor diesem Augenblick, der mich ganz umfing.
    Â»Ich musste ausgerechnet aus Bukarest anreisen, damit auch ihr mal hinauskommt in die Natur«, feixte Biţă. »Sonst verkriecht ihr euch wie die Maulwürfe im Bau.«
    Ich hoffte auch, an alledem Geschmack zu finden, und redete mir in Gedanken gut zu, aber sobald ich mich ins Gras legte, knackten stachlige Ästchen
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