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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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vom Vorjahr, wimmelte es auf meinem Körper von langen Ameisen, und um mich herum tanzten Schwärme von Mücken und Fliegen des Waldes. Ich gähnte vor Langeweile, und vor lauter Unrast zuckten meine Beine.
    Â»Essen kommen«, rief Mutter, und erleichtert ging ich zu der ausgelegten Serviette, auf der sie hartgekochte Eier und gelb geäderte Herbsttomaten angerichtet hatte.
    *
    Gegen Abend brachten wir Biţă zum Zug nach Hause. Ein gutes Stück gingen wir den Boulevard entlang, umweht von den noch einladend warmen Schleiern des Regens. Die Blätter klebten wie frisch gebügelt, und junge Schnecken krochen hervor, die ihre Fühler dem Plätschern auf dem Gehsteig entgegenreckten. Hin und wieder schoss mit unanständigem Gurgeln ein Schwall durch die Rohre, und kleine Wasserfälle zerstoben auf dem Asphalt. Dann drängten wir uns alle unter einem großen schwarzen Regenschirm mit verbogenen Sprossen zusammen, doch in dem dichten Regen flossen zwischen den vor Nässe glänzenden Bäumen und den zerfetzten Plakatwänden die Augenblicke vor Biţăs Abfahrt irgendwann zu einem unendlichen Herbst zusammen.
    Wie immer waren wir zu früh, wortlos standen wir mitten auf dem von Rufen widerhallenden Bahnsteig herum. Dann und wann fuhr langsam ein Zug ein, verdüsterte die Luft mit schwarzem Rauch, und dann rannten die Bauern zu den vollbesetzten Treppen und wuchteten ächzend Säcke voller Schwarzbrot hinauf. Jemand hatte aus Angst vor einer Kontrolle oder nur aus Versehen eine Korbflasche Schnaps verschüttet, und die Dünste waberten durch den ganzen Bahnhof. Hagere Frauen mit glänzenden Troddeln an den Kopftüchern und Männerjacken über den Faltenröcken saßen seit Stunden erstarrt auf den Bänken neben Körben, aus denen das Gegacker von Hühnern und der Gestank nach feuchtem Stall kam. Aus der Tür der Bahnhofskneipe quollen mit dem Geruch von billigem Wein die Flüche der Streithähne.
    Â»Komm doch mal wieder, wenn du Zeit hast«, sagte Onkel Ion leise und stocherte mit der Spitze des Regenschirms herum.
    Â»Diesen Samstag nicht, aber nächsten bestimmt!«, rief Biţă uns zu, während er schwungvoll die schwarzen Treppen nahm, dass sie nur so bebten.
    Alle nickten wir ohne besondere Zuversicht und sahen der Gestalt nach, die sich von uns gelöst hatte, vom Gedränge im Wagengang geschluckt wurde und dann wieder auftauchte. Ein Eisenbahner ging von Waggon zu Waggon, bückte sich zu den Rädern und schlug mit dem Hammer dagegen.
    Â»Keine Sorge, bei der nächsten Station kriege ich schon einen Platz!«, rief Biţă und winkte zum Abschied mit dem Bündel Zeitungen.
    Als Letztes leuchtete das rote Licht, das wir auf der Höhe der Schranke noch wahrnehmen konnten, und in der merkwürdigen Stille konnten wir plötzlich das Wasser im Brunnen neben den grell gekalkten Klos plätschern hören. Auf einem Abstellgleis zwei bauchige Zisternen, am Bahndamm gehäufelte Kohle, darin die Schaufeln, die die Soldaten steckengelassen hatten. Vor uns die rauchgeschwärzten Verwaltungsgebäude des Bahnhofs.
    Â»Los, gehen wir«, sagte Onkel Ion.
    Wieder den Boulevard entlang, vorbei an den Standardbauten für die Eisenbahner, der stachlig geschnittenen Hecke und den roten Blumenrabatten ohne jeden Duft. An meinem Schuhabsatz pulste obszön der von inneren Säften schwellende rosa-violette Körper eines berauschten Regenwurms. Unvermittelt wurde es dunkel, als Onkel Ion den Arm über den Zaun reckte, um die Tür von innen zu entriegeln.
    Â»Was für eine Unverschämtheit!«, sagte Mutter.
    Am Ende der Straße pinkelte hastig ein Mann, seine Kleider dampften vom Regen. Um nicht an dem gewaltigen Elend zu ersticken, erinnerte ich mich daran, dass morgen Montag war und ich Mihai auf dem Schulhof sehen und er mir vielleicht etwas Versöhnliches sagen würde. Und dann fragte ich mich, ob denn nicht auch Onkel Ion, wie ich, etwas erwartete und wie er, wenn dem nicht so war, bloß so weitermachen konnte.

Kapitel III
    E igentlich war der gleiche Weg an jedem Tag gesäumt von den Zeichen des Scheiterns. Daran dachte ich damals allerdings nicht, und später, als ich es zu verstehen meinte, machte ich mir das Leid des Onkels abstrakt zu eigen; wollte ich es vielleicht sogar schärfer empfinden, als es wirklich gewesen war? Denn jahrelang, in den Wirren so vieler Augenblicke, war
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