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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon
Autoren: Nicci French
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wissen.«
    »Das glaube ich kaum. Hypnose ist kein Hokuspokus.
    Ich schätze, Sie reagieren sehr empfänglich auf hypno-tische Prozesse. Ich könnte Sie jetzt in Trance versetzen und Ihnen sagen, daß Sie … hmm, sagen wir mal, daß Sie auf dem Weg von Shepherd’s Bush hierher gesehen haben, wie jemand überfahren wurde. Wenn ich Sie aus der Hypnose zurückhole, wären Sie überzeugt, daß es stimmt.«
    »Selbst, wenn es so wäre – Alex hat mir nicht gesagt, woran ich mich erinnern soll.«
    »Ich weiß, aber allein durch die Wiederholungen und die Verstärkung, die er Ihnen gab, haben Sie sozusagen immer mehr Erinnerungen angehäuft. Jedesmal haben Sie ein Versatzstück zu Ihrer Geschichte hinzugefügt, und bei der nächsten Sitzung erinnerten Sie sich dann an das Detail, das Sie bei der vorhergehenden dazugewonnen hatten.
    Selbstverständlich ist Ihre Erinnerung in gewisser Weise real, aber es ist eine Erinnerung an Erinnerungen.«
    »Aber was ist mit dem Verbrechen, das ich gesehen habe? Es war so real, so detailliert.«
    »Die ganze Therapie war doch darauf zugeschnitten.
    Alex Dermot-Brown hat Sie darauf vorbereitet, er hat Ihnen immer wieder versichert, daß alles, woran Sie sich erinnern, der Wirklichkeit entspricht, und er hat seine Autorität als Arzt und Analytiker eingesetzt, um Sie davon zu überzeugen, daß Sie etwas wiedererlebten – und nicht etwa konstruierten.«
    »Ist so etwas denn möglich? «
    »Ja, so etwas ist durchaus möglich.«
    »Hat Alex das absichtlich gemacht? Hat er versucht, mir eine falsche Erinnerung einzutrichtern?«
    »Ganz gewiß nicht. Aber manchmal schafft man sich das, wonach man sucht. Ich weiß, daß Dr. Dermot-Brown leidenschaftlich an das Phänomen der wiedergewonnenen Erinnerungen glaubt, und ich bin überzeugt, daß er den Menschen helfen will, die unter Gedächtnisverlust leiden.
    Mittlerweile hat er sogar seine ganze berufliche Arbeit darauf ausgerichtet.«
    »Sie sind also sicher, daß er sich irre?«

    »Welche Erklärung könnte es sonst geben für das, was Sie erlebt haben, Jane?«
    »Und was ist mit dem Mißbrauch von Kindern? Glauben Sie, das sind alles bloß Phantasien, wie Freud behauptet hat?«
    Thelma nahm einen großen Schluck Whisky. »Nein. Zur Zeit behandle ich ein halbes Dutzend Opfer von sexuellem Mißbrauch. Zwei davon sind Schwestern und haben beide jeweils zwei von ihrem Vater gezeugte Kinder zur Welt gebracht, bevor sie sechzehn waren. Beim Prozeß gegen ihn hat meine Aussage hoffentlich geholfen, ihn zu überführen. Natürlich weiß ich auch, daß sich Mißbrauch oft schwer beweisen läßt. Ich kenne Männer, die deshalb ungeschoren davonkommen, und das treibt mich zur Verzweiflung. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich mehr trinke, als mir bekommt.« Sie schwenkte ihr schon fast leeres Whiskyglas. »Aber ich glaube nicht, daß Mißbrauch in einem luftleeren Raum existiert, in dem die normalen Regeln – ich meine damit juristische und wissenschaftliche Grundsätze – nicht mehr gelten. Nur weil Mißbrauch extrem schwer nachweisbar ist, bedeutet das noch lange nicht, daß wir versuchen sollten, Ange-klagte ohne Beweise zu verurteilen.«
    »Aber in diesen Fällen gibt es Beweise. Bei den Frauen, die ich im Workshop kennengelernt habe. Sie erinnern sich daran, wie sie mißbraucht wurden.«
    »Tun sie das? Alle? Ich kenne junge Frauen aus anscheinend liebevollen, intakten Familien, die nach ein, zwei Jahren Analyse überzeugt waren, ihre gesamte Kindheit hindurch auf entsetzliche Weise mißbraucht worden zu sein. Sie erzählen von wiederholten rituellen Vergewaltigungen. Sodomie, Folter, davon, daß man sie gezwungen hat, Exkremente zu essen und an irgendwelchen schwarzen Messen teilzunehmen. Vielleicht meinen manche Leute, daß solche unerhörten Beschuldigungen von besonders stichfesten Beweisen untermauert werden müssen, aber die Leute, die sich für die Rechte dieser bedauernswerten Frauen einsetzen, vertreten die Ansicht, daß wir außer den eigenen Aussagen der Opfer keine weiteren Beweise brauchen. Alles andere ist für sie Kollaboration mit dem Täter. Es gibt nicht mal eine neurologische Erklärung für den Gedächtnisverlust, der, wie wir alle wissen, nach einem Schlag auf den Kopf, beispielsweise bei einem Autounfall, eintreten kann. Aber es gibt keine Erklärung dafür, wie regelmäßig über mehrere Jahre hinweg wiederkehrende Einzelereignisse aus dem Gedächtnis gelöscht werden können. Da ist Ihr Erlebnis, daß Sie gesehen
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