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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon
Autoren: Nicci French
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um, der im Türrahmen saß.
    »So, dann werde ich Sie beide jetzt mal allein lassen«, meinte Singer etwas unbeholfen, als hätte er uns für ein Blind date zusammengebracht und wäre sich nicht sicher, wie es weitergehen würde.
    Claud nickte.
    »Soll ich mich hierhin setzen, Barry?« fragte er und deutete auf den Stuhl, der in dem Kreis mir gegenüber stand. Barry nickte. Claud setzte sich, und wir musterten einander.
    »Du siehst gut aus, Claud«, sagte ich.
    Er sah tatsächlich gut aus, besser als jemals zuvor. Mit einem leichten Nicken bedankte er sich für das Kompliment und griff in seine Hosentasche, um ein zerdrücktes Zigarettenpäckchen und ein graues Metallfeuerzeug hervorzukramen. Er bot mir eine Zigarette an, aber ich schüttelte dankend den Kopf. Er zündete sich eine an und nahm einen tiefen Zug.
    »Die Umgebung ist sehr anregend«, meinte er. »Es werden hier interessante Ideen entwickelt. In vielerlei Hinsicht, denke ich, ist es eine Verbesserung des Barlinnie-Modells. Und für mich persönlich …«, er zuckte leicht die Achseln, »ist es ein außerordentlich gesundes Leben. Aber wie geht es dir?«
    »Hast du von Alan gehört?«
    »Ich sehe nicht fern und lese keine Zeitungen. Ich nehme an, er ist aus der Haft entlassen worden.«

    »Mehr noch. Er ist wieder ein berühmter Schriftsteller.«
    »Wie das?«
    »Als er auf freien Fuß gesetzt wurde, schrieb er innerhalb von vierzehn Tagen seine Gefängnis-Memoiren.
    Sie heißen A Hundred and Seventy-Seven Days. Die Verleger brachten es diesen Monat auf den Markt. Es war eine Sensation. Der New Yorker verglich Alans Werk wohlwollend mit Ein Tag im Leben des Iwan Denisso-witsch. Alan hat mir erzählt, daß bei der Verfilmung des Stoffes Anthony Hopkins seinen Part spielen wird. Ich glaube, das einzige, worüber Alan im Augenblick nachgrübelt, ist die Frage, ob er eher den Literaturno-belpreis oder den Friedensnobelpreis verliehen bekommt.«
    Claud lächelte. Er klopfte die Zigarette ab, und die Asche fiel neben seinem rechten Fuß auf den Boden.
    »Ihr sprecht also wieder miteinander?« erkundigte er sich.
    »Es sieht so aus. Alan schloß mich in die Arme und vergab mir.
    Ich war sehr gerührt, obwohl sich das Ganze live in einem Fernsehstudio abspielte.«
    »Was ist aus deinem Therapeuten geworden?«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Wie geht es den Jungen, Jane?«
    »Gut, Paul übrigens auch. Er hat seinen Film noch mal komplett überarbeitet und ist jetzt gerade auf einem Fernsehfilmfestival in Seoul.«
    »Gut. Ich persönlich fand die erste Fassung etwas oberflächlich.«
    »Es wundert mich nicht, Claud, daß du diesen Eindruck hattest.«
    »Was ist aus deinem Wohnheim geworden? Steht es schon?«
    »Noch nicht, aber wir haben jetzt den dritten offiziellen Eröffnungstermin, und wir nähern uns diesem Datum unaufhaltsam, ohne daß bis jetzt etwas dazwischenge-kommen wäre. Ich bin optimistisch.«
    »Freut mich zu hören, Jane. Das ist ein gutes Zeichen. Es ist ein phantastisches Projekt. Wie schön für dich.«
    Hinter meinen Augen fing es unaufhaltsam an zu pochen.
    »Und wie steht es um dein Opus magnum? Wie ich hörte, schreibst du an einem Roman.«
    Claud lachte. »Hat Griff mal wieder geplaudert? Ich weiß, man sollte anderen seine Arbeit erst dann zeigen, wenn sie fertig ist. Aber ich konnte ihm seine Bitte einfach nicht abschlagen.«
    »Was ist es?«
    »Ich schreibe eine Art Krimi, quasi als intellektuelle Übung. Ich muß sagen, die Arbeit macht mir viel Freude.«
    »Worum geht es?«
    »Um den Mord an einem jungen Mädchen.«
    »Wer tötet es?«
    »Ein sehr interessanter Aspekt. Ich versuche von der abgedroschenen Vorstellung wegzukommen, daß junge Mädchen süße, passive Geschöpfe sind. Die Ermordete ist ein Teenager, der sich seiner erwachenden sexuellen Anziehungskraft sehr bewußt ist und sie dementsprechend einsetzt. Sie ist schön und bezaubernd, aber sie setzt diese Vorzüge ein, um allen anderen um sie herum Schaden zuzufügen. Sie kennt deren Geheimnisse und erpreßt sie.«
    »Wird sie deshalb umgebracht?«
    »Nein, nicht nur. Sie kann es nicht lassen, ihre körperlichen Reize auch den Männern ihrer Familie gegenüber einzusetzen. Für alle anderen unbemerkt, gelingt es ihr, ihren älteren Bruder zu verführen.«
    »Wie bewerkstelligt sie das?«
    »Du weißt schon, gelegentliche Blicke oder Berührungen, eine gewisse Vertrautheit, ja, sie flirtet sogar mit ihm. Was ich versuche herauszuarbeiten, ist der Übergang von einer
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