Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
das Verbrechen passierte. Ich hatte damals eine leidenschaftliche Liebes-affäre mit einem von Natalies Brüdern, ging hinunter zum Col, dem Fluß, und setzte mich ans Ufer, mit dem Rücken zu dem kleinen Hügel, der mich von Natalie trennte. Aus einer Laune heraus hatte ich ein paar Gedichte, die ich früher geschrieben hatte, zerrissen und ins Wasser geworfen. Dann sah ich den Papierfetzen nach, wie sie um die Flußbiegung verschwanden.«
    Thelma zog eine Augenbraue hoch. »Ist das alles wirklich von Bedeutung?«
    »Ja, es ist sogar sehr wichtig. Genau das gleiche habe ich auch Alex erzählt – es war der Teil, an den ich mich erinnerte, ohne Vorbehalte, der Teil, an dem es für mich keinen Zweifel gab.«
    »Und?«
    »Heute früh war ich zum erstenmal, seit es passiert ist, wieder am Fluß. Als ich zu der Stelle kam, an die ich mich erinnerte, floß das Wasser in die falsche Richtung.«
    »Wie meinen Sie das – ›in die falsche Richtung‹.«
    »Es klingt blöd, aber es stimmt. Ich habe ein Stück Papier reingeworfen, und es ist nicht von mir weg, sondern zu mir her geschwommen.«
    Thelma sah enttäuscht aus. Sie zuckte die Achseln. Mehr hatte ich nicht zu bieten?
    »Ganz einfach«, fuhr ich fort, »Ich drehte mich um und ging über die kleine Anhöhe zur anderen Seite. Und da begriff ich, daß ich dort gesessen und das Papier ins Wasser geworfen hatte. Ich habe probeweise sogar noch ein Stück reingeworfen, und es ist von mir weg und um die Flußbiegung geschwommen, genau wie in meiner Erinnerung.«

    Thelmas Gesichtsausdruck war kühl geworden. Sie wirkte distanziert, etwas peinlich berührt sogar. Sogar das Essen schien sie nicht mehr zu interessieren. Zweifellos überlegte sie, wie sie mich ohne größere Umstände loswerden konnte.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Bestimmt bin ich schwer von Begriff, aber ich verstehe wirklich nicht ganz, worauf Sie hinauswollen. Mir leuchtet nicht ein, warum es wichtig sein sollte, daß Sie sich an die falsche Stelle am Fluß erinnert haben.«
    »Es war nicht nur falsch herum. Die Brücke, von der aus der Zeuge Natalie angeblich gesehen hat, war ebenfalls auf dieser Seite des Hügels. Aber schenken Sie mir bitte noch eine Minute Geduld. Aus Gründen, die ich nicht näher erörtern möchte, habe ich vor kurzem eine Menge Sachen vonfrüher bekommen, aus der Zeit, als ich den Sommer immer im Haus der Martellos verbracht habe.
    Darunter befand sich auch das Tagebuch, das ich damals führte. Da es schon zwei Tage vor Natalies Verschwinden aufhörte, habe ich ihm nie Beachtung geschenkt. Als ich es mir jedoch heute noch einmal ansah, fiel mir ein hochinteressantes Detail auf. Mir war es schon immer seltsam vorgekommen, daß Natalies Leiche nicht gefunden wurde. Als man sie im November entdeckt hat, war das – jedenfalls für mich – beinahe noch seltsamer. Die Stelle war brillant gewählt, denn sie lag direkt vor unserer Nase, im Garten, nur ein paar Meter vom Haus entfernt.
    Aber wie war es dem Täter gelungen, sie unbemerkt dort zu vergraben?«
    »Ich weiß nicht. Sagen Sie’s mir«, entgegnete Thelma mit spürbarer Ungeduld.
    »Mein Tagebuch erinnerte mich daran, daß vor dem Haus ein Grill gebaut wurde und daß dieser Grill genau am Morgen des 26. Juli fertig war – das war der Samstag, an dem es abends eine Party gab, dem Tag, bevor Natalie zum letztenmal gesehen wurde. Heute früh habe ich mir die Grube angesehen, in der Natalies Leiche gefunden wurde, und dort entdeckte ich auch die Reste dieses Grills.
    Er war aus Backsteinen gemauert und mit in Beton eingelassenen Tonkacheln verkleidet. Jetzt sind nur noch Scherben da, denn der Grillplatz wurde abgerissen, und die Tonkacheln wurden zertrümmert, als Martha – das ist meine Schwiegermutter – den Rasen vergrößern ließ. Aber der springende Punkt ist: Der Mörder hat Natalie in dem Loch vergraben, weil er wußte, daß darüber eine schwere Backsteinkonstruktion mit Beton und Kacheln errichtet werden würde.«
    »Würde die Polizei nicht zu allererst in einem Loch im Boden suchen?«
    »Aber es gab ja gar kein Loch mehr, verstehen Sie denn nicht? Als Natalie am 27. zum letztenmal gesehen wurde, war der Grill schon über vierundzwanzig Stunden an Ort und Stelle. Aber aus einleuchtenden Gründen ist es unmöglich, eine Leiche unter einem Backsteingrill zu vergraben, der schon fix und fertig auf der Wiese steht.«
    »Na ja, damit beantworten Sie doch Ihre eigene Frage, stimmt’s?«
    »Sie verstehen immer noch nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher