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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon
Autoren: Nicci French
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ganz. Natalie kann unmöglich erst am 27. gestorben sein, als man sie erstmals vermißte. Sie war schon am Morgen vor der Party, also schon am 26. tot – und vergraben.«
    Thelma machte ein verwirrtes Gesicht, aber nun war ihr Interesse wenigstens wieder geweckt. »Aber Sie haben doch gesagt, man hat Natalie am 27. gesehen, oder?«
    »Ja. Aber was ist, wenn ich Ihnen sage, daß Natalie und ich gleich alt waren, daß wir einen sehr ähnlichen Teint hatten und oft die gleichen Kleider trugen? Daß Natalie in der Gegend sehr bekannt war, während ich nur im Sommer auftauchte – eine Menge Nachbarn hatten mich also noch nie gesehen? Und daß ich inzwischen entdeckt habe, daß ich zur selben Zeit am selben Ort war, an dem man Natalie angeblich zum letztenmal lebend gesehen hat?
    Was dann?«
    Auf Thelmas Gesicht breitete sich ganz langsam ein Lächeln aus, wie eine Flamme, die sich gemächlich durch eine Zeitung frißt. Jetzt dachte sie nach, und zwar gründlich.
    »Sind Sie sicher, was den Grill betrifft?« wollte sie wissen.
    »Hundertprozentig. Ich habe auf beiden Seiten des Lochs Kachelreste gefunden. Natalies Leiche lag garantiert darunter.«
    »Und Sie wissen auch ganz genau, daß der Grill nicht doch ein paar Tage später fertig geworden ist? Vielleicht hat man es ja nicht bis zur Party geschafft.«
    »Nein, er war der Mittelpunkt der Party. Ich habe Fotos, wie die Gäste davor Schlange stehen, um sich Rippchen und Bratwurst zu holen.«
    Thelma fiel noch ein Einwand ein.
    »Spielt das alles denn überhaupt eine Rolle? Alan hat ein Geständnis abgelegt. Die Polizei würde sicher behaupten, daß Sie die Daten falsch im Kopf haben.«
    »Aber Alan war überhaupt nicht da. Mein Vater hat Alan und Martha am Morgen der Party in Southampton vom Schiff abgeholt. Sie kamen gerade mit dem Dampfer aus der Karibik und sind erst am frühen Abend auf Stead eingetroffen, direkt zu Beginn der Party. Alan kann Natalie nicht ermordet haben. Es gibt nur ein einziges Problem.«

    »Und das wäre?«
    Ich hob ratlos die Hände. »Ich hab ihn gesehen. Und er hat es gestanden.«
    Thelma lachte laut auf. »Oh, weiter nichts?«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Ich habe nie an so was geglaubt.«
    »Wollen Sie damit sagen, ich habe mir alles nur eingebildet?«
    Höchstwahrscheinlich sagte ich das ziemlich laut.
    »Jane, ich mache mir jetzt einen Whisky, und Sie kriegen auch einen. Außerdem erlaube ich Ihnen, ein paar von Ihren widerlichen Zigaretten zu rauchen, und dann setzen wir uns hin und unterhalten uns mal ernsthaft. In Ordnung?«
    »Ja, in Ordnung.«
    Schon holte sie zwei unglaublich klobige Whiskygläser hervor und danach noch einen unglaublich klobigen Aschenbecher. In meinem Haus hätte ich beides nicht geduldet.
    »Hier«, sagte sie, während sie die beiden Gläser jeweils mit einem etwa fünffachen Scotch füllte. »Nichts von diesem modischen Single-Malt-Zeug, sondern ein altbe-währter Verschnitt – so sollte man Whisky trinken. Prost.«
    Ich nahm einen großen Schluck und zog beglückt an meiner Zigarette.
    »Also?« fragte ich.
    »Erzählen Sie mir von Ihren Therapiesitzungen bei Alex Dermot-Brown«, sagte Thelma »Wie meinen Sie das?«
    »Erzählen Sie mir davon, wie Sie Ihr Gedächtnis wiedergefunden haben. Wie ging das vor sich?«
    Ich berichtete kurz über das kleine Ritual, das Alex und ich jedesmal vollzogen, wenn ich mich ans Ufer des Col zurückversetzte. Während ich sprach, erschien auf Thelmas Gesicht erst ein Stirnrunzeln, dann allmählich ein Lächeln.
    »Entschuldigung«, unterbrach ich mich, »hab ich was Komisches gesagt?«
    »Aber nein«, entgegnete sie. »Machen Sie weiter.«
    »Das war schon alles. Was halten Sie davon?«
    »Haben die Vertreter der Anklage es je in Erwägung gezogen, Sie in den Zeugenstand zu rufen?«
    »Wozu? Alan hat ja gestanden.«
    »Natürlich. Aber hatten Sie den Eindruck, daß die Ankläger darauf brannten, Sie aussagen zu lassen?«
    »Das weiß ich nicht. Na ja, ich glaube, einigen von ihnen wäre es eher unangenehm gewesen.«
    »Dann sage ich Ihnen, daß man Alan Martello nie allein aufgrund Ihrer Aussage verurteilt hätte. Das wäre wahrscheinlich sogar gesetzwidrig gewesen.«
    »Wieso?«
    »Weil sich das Gedächtnis unter dem Einfluß von Hypnose verändert. Und Sie sind hypnotisiert worden.«
    »Das ist doch albern! Ich weiß genau, was ich getan habe. Ich lag bloß auf der Couch und habe versucht, mich zu erinnern. Wenn man mich hypnotisiert hätte, müßte ich das doch wohl
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