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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon
Autoren: Nicci French
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haben, wie Ihr Schwiegervater Ihre Freundin ermordet hat, noch ein vergleichsweise trivialer Fall.«
    »Aber warum habe ich denn ausgerechnet Alan gesehen?«
    Thelma zuckte die Achseln. »Fragen Sie mich nicht. Sie kennen ihn, ich nicht. Vielleicht haben Sie im Verlauf Ihrer Analyse besonders starke Gefühle auf ihn projiziert.
    Als Ihre Phantasie dann einen Bösewicht brauchte, erschien er Ihnen möglicherweise als geeignet, weil er ein Mann ist, der Frauen gegenüber zur Gewalt neigt. Das Bild des Mordes entstand in dem Moment, in dem Ihre innere und Ihre äußere Welt aufeinandertrafen. Auf eine abnorme Weise war es so etwas wie ein Triumph für den psychoanalytischen Therapieansatz. Unglücklicherweise hat sich die Realität sehr hartnäckig eingemischt.«
    »Aber warum um alles in der Welt hat Alan dann gestanden?«
    »So etwas kommt vor, wissen Sie. Er wird seine Gründe haben.«

    »O Gott«, stöhnte ich und ließ den Kopf auf die Hände sinken.
    »Wenn Sie wissen wollen, ob Alan Martello ein Mann ist, der mit Schuldgefühlen und Verzweiflung umzugehen versucht, indem er etwas absolut Irres, Selbstzerstörerisches, Theatralisches tut, dann haben Sie so ziemlich ins Schwarze getroffen.«
    Thelma trank ihren Whisky aus.
    »So sieht’s also aus.«
    Ich betrachtete mein Glas. Keine Chance, es je leerzu-kriegen: Mindestens ein dreifacher Scotch war noch übrig, und ich fühlte mich schon jetzt betrunken. Ein bißchen unsicher erhob ich mich.
    »Ich glaube, ich gehe jetzt lieber.«
    »Ich rufe Ihnen ein Taxi«, sagte Thelma, und nach ihrem Anruf vergingen nur wenige Minuten, ehe es an der Tür klingelte.
    »Vermutlich wollen Sie mich jetzt als Paradebeispiel in Ihrem Kreuzzug gegen die Theorie der wiedergewonnenen Erinnerung benutzen«, meinte ich unter der Tür.
    Thelma lächelte mich traurig an. »Nein, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das, was Sie erlebt haben, wird die Verfechter dieser Theorie nicht verunsichern.«
    »Das kann doch nicht wahr sein.«
    »Wieso denn nicht? Wie steht es mit Ihnen? Was hätten Sie gedacht, wenn Sie zu Ihrem Fluß gekommen wären und die Strömungsrichtung hätte gestimmt? «
    »Ich weiß nicht.«
    »Passen Sie auf sich auf«, sagte sie, als ich ins Taxi stieg. »Sie müssen morgen früh die Polizei anrufen. Die müssen mit ihren Ermittlungen noch mal von vorn anfangen.«

    »O nein, bestimmt nicht.«
    Thelma sah mich verwundert an, aber das Taxi war bereits losgefahren und sie schon außer Hörweite.

    40. KAPITEL
    Wir fuhren auf der A12 gegen den Strom der Pendler aus der Stadt und gelangten rasch in die nur auf den ersten Blick ländlich wirkenden Londoner Randbezirke. Ich hatte die Straßenkarte auf meinem Schoß ausgebreitet. Außer den Wegangaben, die ich machte, fiel kein Wort. Wir bogen von der Hauptverkehrsstraße ab und gelangten in das typische Chaos aus Kreisverkehr, Dorfstraßen und Industriegebieten. An der Baustelle für eine Umgehungs-straße saßen wir für eine halbe Stunde auf einer nur einspurig befahrbaren Straße fest. Ein Mann regelte per Handzeichen den Stop-and-go-Verkehr. Wiederholt sah ich nervös auf die Uhr.
    Für den letzten Teil der Fahrt brauchten wir die Straßenkarte gar nicht, sondern folgten einfach den blauen Schildern in Richtung Wivendon. Wir parkten vor einem neoklassizistischen Gebäude, das genausogut als Fremden-verkehrsamt hätte durchgehen können. Aber es war ein Gefängnis.
    Die anderen blieben auf dem Parkplatz. Ich ging zwischen niedrigen Ligusterhecken den Weg entlang, der zum Sicherheitstor führte. Man überprüfte meinen Personalausweis, inspizierte meinen Führerschein und nahm mir die Handtasche ab. Eine Frau in marineblauer Uniform lächelte mich freundlich an, aber tastete mich unter den Armen und meinen Kleidern ab. Ich mußte relativ schmale Türen passieren, die mich an den Personaleingang in städtischen Hallenbädern erinnerten.

    Ich nahm in einem Wartezimmer Platz, in dem auf einem Tisch in der Mitte des Raums eine blütenlose Topfpflanze und alte Zeitschriften lagen. An der Wand hing ein Plakat, das für ein großes Feuerwerk warb. Die Tür öffnete sich, und ein übergewichtiger Mann in braunen Kordhosen und kariertem Hemd trat ein. Sein dichtes, rötlichbraunes Haar hing über dem offenen Hemdkragen. Er war ungefähr in meinem Alter, und unter seinem linken Arm trug er mehrere dicke, braune Aktenordner.
    »Mrs. Martello?« Er kam auf mich zu, setzte sich neben mich und reichte mir die Hand. »Ich bin
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