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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht
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Erste Geschichte
Von Wurst und Waldbeeren
    U nd dann begann der Frühling. Eiszapfenphalli und so weiter. Von den Bürgersteigen war der Schnee verschwunden, aber auf den Rasenflächen und unter den Bäumen lagen noch Reste – schmutzig, rotzig. Es war ein peinlicher Anblick, wie die in Nürnberg gehenkten Naziführer. Auf der Fontanka schwammen die letzten Eisschollen mit eingefrorenem Müll. Auf manchen hüpften freche Krähen herum. Kinder mit Schulranzen auf den schmalen Rücken lehnten sich über das schmiedeeiserne Gitter und wetteten, wessen Eisscholle als Erste an der Brücke ankäme.
    Morgens ging ich am Zirkus vorbei in die Redaktion. Der Sommergarten war zum Trocknen geschlossen. Über den Bäumen kreischten hysterisch die Vögel. Neben dem Hauseingang, wo mir im Alter von fünfzehn ein dralles, besoffenes Weib einen geblasen hatte, lag eingetrocknete Hundekacke. Die ganze Woche über hing der Himmel tief.
    Der Asphalt war trocken, die Luft aber war feucht und roch faulig. Das Wetter ähnelte einer Jungfrau, die zu allem entschlossen ist, allerdings noch niemanden gefunden hat, mit dem sie ins Bett gehen kann. Mit anderen Worten, es wäre verfrüht gewesen, im Hemd auf die Straße zu gehen, aber Frühling war trotzdem schon.
    Und die Tage waren lang, und ich hatte keine Kopeke. Vor einer Woche war es um acht schon finster gewesen, aber jetzt war es sogar um halb zehn noch nicht besonders dunkel.
    Als ich den Verlag verließ, wusste ich, jetzt ging alles richtig los. Zum ersten Mal seit einem halben Jahr bummelten scharenweise Menschen über die Uferstraßen. Die Mädchen liefen hier und da schon ohne Strumpfhosen, mit frechen, weißen Beinen. Der einäugige Zyklon biss dem Antizyklon die Kehle durch, oder der Golfstrom floss rückwärts, und die Algen der Sargassosee kochten zu einer festen Suppe zusammen, und vielleicht passierte auch sonst noch was. Die Stadtidioten waren völlig außer Rand und Band und machten sich plötzlich lautstark bemerkbar. Alle Uhren in der Stadt logen um die Wette, weil sie mit dieser verrückten Sommerzeit nicht zurande kamen. Junge Männer mit Bierflaschen in der Hand fassten die Damen am Arm und luden sie ein. Die lachten. Niemand war gekränkt.
    Klar, dass ich mich betrank. Es war die allererste, die allerschönste Nacht. Dieses fette Dunkel, diese feuchte Luft konnte ich nicht verraten. Lange schnorrte ich Geld zusammen, dann saß ich an einem schmalen Zweipersonentisch im »Montreal-Steak« und betrachtete die zusammengekniffenen Augen der schönen Barmixerin. Über meinem Kopf hing eine Girlande von verrosteten Teekännchen. Das Design im »Montreal« ist seit Ewigkeiten dasselbe. Ich dachte daran, dass heute bestimmt jemand seine Unschuld verliert – in so einer Nacht!
    Am nächsten Morgen tauchte Gleb bei mir auf – mit einer neuen Freundin und etlichen Flaschen Bier im Rucksack. Der Rucksack hieß »Jan Sport« und hatte einen Haufen Geld gekostet. Das Mädchen hieß Olga. Alle Freundinnen von Gleb sehen aus wie Models. Diese hatte winzige, runde Brüste unter ihrem T-Shirt und unglaublich lange Beine. Es sah so aus, als hätten diese Beine nicht ein Knie, sondern mindestens drei.
    Gleb drehte am Knopf des Radios und stopfte gleichzeitig das Bier ins Eisfach.
    »Das ist ein Wetter, was? So ein Wetter! Wo warst du gestern? Warst du unterwegs? Spürst du das Wetter? Die Weiber sind unterwegs ... Und diese Luft ... Uch! Spürst du das?«
    Wie immer am Morgen schmeckte das Bier überraschend herb. Auf dem Etikett hielt ein bärtiger Stepan Rasin einen Schild vor seine Lenden.
    »Was treibst du so?«
    »Und du?«
    »Wir sehen uns nicht mehr allzu oft, wie?«
    »Kann man so sagen.«
    Mit seinem Flaschenhals tippte Gleb an meinen und sagte, er freue sich, mich zu sehen. Ihm war heiß. Er zog aus seiner Hosentasche ein Taschentuch und wischte sich das Gesicht ab.
    »Na, erzähl schon! Wie geht‘s?«
    »Normal. Alles normal.«
    »Super! Das freut mich! Wie läuft es privat?«
    »Nicht übel.«
    Ich wüsste gern, ob ihn schon mal ein Mädchen verlassen hat, weil er zu viel trinkt.
    »Und die Arbeit?«
    »Auch ganz gut.«
    »Zahlen sie?«
    »Manchmal.«
    Ein verkaterter Morgen unterscheidet sich gar nicht so sehr von einem gewöhnlichen. Im ersten Fall hat man Hunger auf heißes, scharf gewürztes Fleisch. In allen anderen Fällen auf heißen, süßen Kaffee. Draußen schrien die Leute mit Frühlingsstimmen und übertönten sogar das Radio.
    Es tut gut, an so einem Morgen
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