Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
den verschiedenen Nationen behaupten will; als ob Moloch, Saturn und Kronos der gleiche Gott sein könnten! als ob der Baal der Phönizier, der Zeus der Griechen und der Jupiter der Lateiner dasselbe Wesen wären! als ob eingebildete Wesen, die verschiedene Namen führen, irgend etwas unter sich gemeinsam haben könnten!
    Wenn man fragt, weshalb im Heidentume, wo jeder Staat seinen eigenen Kultus und seine eigenen Götter hatte, doch keine Religionskriege vorkamen, so erwidere ich, daß dies gerade daher kam, weil jeder Staat ebensogut seinen eigenen Kultus wie seine eigene Regierungsform hatte und folglich zwischen seinen Göttern und seinen Gesetzen keinen Unterschied machte. Der politische Krieg wurde auch auf dem religiösen Gebiete ausgefochten und den Göttern ihre Machtsphäre gleichsam nach den Grenzen der Völker bestimmt. Der Gott des einen Volkes hatte kein Recht über die anderen Völker. Die Götter der Heiden waren keine eifrigen Götter; sie teilten die Herrschaft der Welt unter sich; selbst Moses und das hebräische Volk gaben sich bisweilen dieser Vorstellung hin, indem sie vom Gotte Israels sprachen. Sie betrachteten die Götter der Kanaaniter allerdings als nichtig, denn ihnen galten diese Völker für geächtet, dem Untergange geweiht und dazu bestimmt, von ihnen verdrängt zu werden; aber man sehe, wie sie von den Gottheiten der Nachbarvölker sprechen, die anzugreifen ihnen verboten war. »Du sollst die einnehmen«, sagte Jephta zu den Ammonitern, »die kein Gott Chamos vertriebe, und uns lassen einnehmen alle, die der Herr, unser Gott, vor uns vertrieben hat.« Darin lag meines Erachtens eine völlig anerkannte Gleichheit zwischen den Rechten des Chamos und denen des Gottes Israels.
    Als jedoch die Juden, nachdem sie von den babylonischen und später von den syrischen Königen unterworfen worden waren, mit größter Hartnäckigkeit keinen anderen Gott als den ihrigen anerkennen wollten, wurde diese Weigerung für eine Empörung gegen den Sieger angesehen und zog ihnen die in ihrer Geschichte aufbewahrten Verfolgungen zu, von denen sich vor dem Christentum kein zweites Beispiel findet.
    Da also jede Religion einzig und allein an die Gesetze des Staates, der sie vorschrieb, gebunden war, so gab es keinen andern Weg zur Bekehrung eines Volkes als seine Unterwerfung und keine anderen Glaubensboten als die Eroberer. Da die Verpflichtung zur Glaubensänderung ein Gebot für die Besiegten war, so mußte man also erst den Sieg davongetragen haben, ehe davon die Rede sein konnte. Nicht die Menschen kämpften für die Götter, sondern die Götter stritten wie im Homer für die Menschen; jeder betete zu dem seinigen um den Sieg und bezahlte denselben durch neue Altäre. Ehe die Römer einen Ort einnahmen, forderten sie dessen Götter auf, ihn zu verlassen; und als sie den Tarentinern ihre erzürnten Götter ließen, so geschah es, weil sie diese Götter für den ihrigen unterworfen und ihnen zu huldigen gezwungen hielten. Sie ließen den Besiegten ihre Götter, wie sie ihnen ihre Gesetze ließen. Eine Krone für den Jupiter Capitolinus war oft der einzige Tribut, den sie ihnen auflegten.
    Da die Römer schließlich außer ihrer Herrschaft auch noch ihren Kultus und ihre Götter weithin verbreitet und oft selbst die Götter der Besiegten angenommen hatten, indem sie den einen wie den anderen das Bürgerrecht bewilligten, so befanden sich die Völker dieses unermeßlichen Reiches unmerklich im Besitze einer Unzahl von Göttern und Kulten, die fast überall einander gleich waren. Auf diese Weise wurde endlich das Heidentum auf der ganzen bekannten Erde eine einheitliche Religion.
    Unter solchen Umständen gründete Jesus ein geistiges Reich auf Erden, das durch die Trennung des theologischen Systems vom politischen die Einheit des Staates aufhob und jene inneren Spaltungen hervorrief, die nie aufgehört haben, die christlichen Völker zu beunruhigen. Da der neue Gedanke von einem überirdischen Reich niemals in die Köpfe von Heiden eingehen konnte, so sahen sie die Christen immer als echte Empörer an, die unter einer erheuchelten Unterwürfigkeit nur auf den Augenblick warteten, sich unabhängig und zu Gebietern zu machen und die Gewalt, die sie in ihrer Schwäche scheinbar achteten, auf geschickte Weise an sich zu reißen. Dies war die Ursache der Christenverfolgungen.
    Was die Heiden befürchtet hatten, geschah. Alles bekam damals ein anderes Gesicht; die demütigen Christen führten plötzlich eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher