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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug
Autoren: Frank Goyke
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Prolog: Blut
    Sie waren hinter ihm her, beobachteten und verfolgten ihn, manchmal allein, häufig zu zweit. Junge Kerle, Männer mittleren Alters, allesamt Angehörige einer mafiösen Verbindung. Sie trachteten ihm nach dem Leben, weil er zuviel wusste.
    Zuerst hatte er gedacht, sie wollten ihm nur Angst machen. Doch schon längst spürte er die Gewissheit, dass sie nur auf die Gelegenheit warteten ihn geräuschlos zu entsorgen. Zur Polizei zu gehen, das hatte er mehr als einmal überlegt. Was konnte man ihnen von Amts wegen vorhalten? Heute, beim Gang durch Güstrows vorweihnachtlich geschmückte Altstadt, hatten sich ihre Wege wieder und wieder – stets scheinbar zufällig – mit den seinen gekreuzt. Zeitgleich mit ihm hatten sie die Post betreten und wieder verlassen. Wohin er auch kam, ihr schwarzes Auto wartete schon dort. Bummeln, auf die Post gehen, ein schwarzes Auto – kein Beamter der Welt würde ihn ernst nehmen.
    Er überquerte den Pferdemarkt, passierte das John-Brinckman-Denkmal und hastete nun mit schnellen Schritten durch die Eisenbahnstraße. Wahrscheinlich blieb ihm nur die Flucht. Untertauchen. Allerdings hatten sie im Aufspüren von Opfern außergewöhnliches Geschick. Und in der Fremde, ohne Freunde und Bekannte, war er schutzlos.
    Trotz stieg in ihm auf. Kampflos würde er sein Leben jedenfalls nicht preisgeben. Diese eiskalten Jäger schienen sich für allmächtig zu halten. In ihrer Arroganz glaubten sie wohl, dass er ihnen sowieso nicht entkommen würde. Wenn es ihm gelänge, unerwartet die lange Leine zu kappen, an der sie ihn zu führen glaubten, würde es nicht sofort auffallen.
    Auf dem Bahnhofsvorplatz frischte der ohnehin starke Wind noch einmal auf und trieb ihm Wasser in die Augen, Tränen und Regen, vermischt mit Schnee. Seit Tagen herrschte dieses Wetter. Herbststürme hatten die sonst so sanfte Ostsee in ein wildes Meer verwandelt, ein Monster, das Molen überspülte und den Strand fraß.
    Er unterdrückte den Impuls, sich umzuschauen oder auf dem Parkplatz nach einem schwarzen Wagen zu suchen. Sie sahen ihn, das wusste er ohnehin.
    Der Zug stand hell erleuchtet auf Gleis vier. Drei rotlackierte Doppelstockwagen bildeten eine Einheit, die Generatoren der ebenfalls roten Lokomotive summten vor sich hin. Die Außenhaut der Waggons glänzte feucht, von innen waren die Fenster beschlagen.
    Der Bahnsteig war fast menschenleer, bis auf eine Frau, die von der Treppe zur Unterführung herbeigeeilt kam. Sie trug einen weiten Flickenmantel aus einer Art Filz und ein schwarzes Barett. Ihr Gesicht konnte er nicht erkennen, doch nahm er an, ihr schon öfter begegnet zu sein. Ihre Aufmachung war auffällig und wenn er sich nicht irrte, war Schwaan ihre Haltestelle.
    Die Frau betätigte den Druckknopf, mit dem sich die Türen öffnen ließen. Er selbst begab sich zum ersten Waggon, dem Wagen mit dem Steuerhaus. Als er sich nun doch umwandte, war die Frau eingestiegen, und der Bahnsteig schien verlassen.
    Im Zug war es warm und stickig – vermutlich die Täuschung des ersten Augenblicks für jemanden, der aus der Kälte kam. Langsam stieg er die Stufen hinauf. Mit einem Zischen schloss sich die Tür.
    Eine künstliche Stimme forderte die Reisenden auf, bei der Abfahrt des Zuges Vorsicht walten zu lassen. Der obligatorische Pfiff ertönte, sacht setzten sich die Wagen in Bewegung. Der Bahnsteig schien dahinzugleiten. Als Kind hatte er sich gern vorgestellt, dass gar nicht der Zug, sondern statt seiner die Welt bewegt würde. Die Waggons blieben stehen, während eine riesige Hand, vielleicht die Hand Gottes, Bahnhöfe, Häuser, Wiesen und Bäume an den Fenstern vorbeischob.
    Leider gab es keinen Grund zu bezweifeln, dass einige seiner Häscher an Bord waren, und dass ihn später beim Aussteigen schon der schwarze Kombi erwartete. Ein Leichenwagen, dachte er, das Schwarz war wohl Ausdruck ihres speziellen Witzes. Ihres Killerhumors. Eine Zeitlang betrachtete er seine Hände, dann hob er unwillkürlich den Blick wie ein witterndes Kaninchen. Er spürte, wie sie näher kamen.
    Plötzlich wurde er ganz ruhig. Langsam öffnete er den Reißverschluss seiner daunengefütterten Windjacke, fuhr mit der rechten Hand in die Innentasche und tastete nach seiner Waffe.
    Er war bereit zum Kampf.
     
    Die Welt der Eisenbahn war eine Welt der Zahlen.
    Und ein Mensch der Zahlen war Rüdiger Sokolowski.
    Seit drei Jahren begleitete er Züge. Er war kein Schaffner, sondern er gehörte dem Bahnschutz an und sorgte
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