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Grappa 10 - Zu bunt für Grappa

Grappa 10 - Zu bunt für Grappa

Titel: Grappa 10 - Zu bunt für Grappa
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Mancher trägt ein großes Feuer in seiner Seele, und nie kommt jemand, um sich daran zu wärmen; die Vorübergehenden bemerken nichts weiter davon als ein kleines bisschen Rauch, der oben aus dem Schornstein quillt, und dann gehen sie ihres Weges.
    Glas auf Stein
    Am Abend vor diesem Morgen setzte ich die Serie meiner Beobachtungen fort. Der Mann hatte die Rotweinflasche behutsam auf den Steintisch gestellt, die Frau trat zu ihm – in der Hand die beiden Weingläser. Ich hörte auch jetzt wieder das melodische Klingen, als Glas auf Stein traf.
    Am Abend vor diesem Morgen hatte das Paar eines jener Gespräche geführt, die mir durch vertraute Gesten und harmonische Stimmlage seit Tagen bekannt waren. Niemals fiel ein unwirsches Wort, da war kein Satz, der nach Streit klang, ich hörte weder aufgeregte Töne, noch sah ich bedrohliche Bewegungen.
    Meiner Beobachtungen müde hatte ich mich an diesem Abend ins Bett gelegt, doch im Morgengrauen schreckte ich plötzlich aus dem Schlaf auf. Es war die Stunde, zu der der Himmel sachte blaute, erste Lichter in den Häusern angeknipst wurden, frühe Vögel mit ihrem Lied begannen. Ein Hund bellte.
    Der Schrei der Frau spaltete den Morgen in zwei schroffe Stücke. Dann fielen die beiden Schüsse.
    Nach den ersten Ermittlungen der französischen Polizei hatte der deutsche Tourist seine Lebensgefährtin zunächst niedergeschlagen, ihr anschließend in den Kopf geschossen, sich den Lauf des Revolvers an den Schädel gesetzt und abgedrückt. Mord und Selbsttötung also. Die Suche nach dem Motiv gestaltete sich schwierig.
    Ich horchte in der Nachbarschaft herum. Es gab keinen Abschiedsbrief, keinen Hinweis auf einen vorausgegangenen Kampf, nicht die Spur einer Meinungsverschiedenheit, die in dieser Katastrophe hätte enden können. Das Ferienhaus, das die beiden gemietet hatten, war sauber und aufgeräumt, sogar die Betten waren gemacht – recht ungewöhnlich für diese frühe Stunde. Die Kleider hingen ordentlich im Schrank, im Bad entdeckten die Ermittler eingeweichte Wäsche, im Kühlschrank Lammfilets in Olivenölmarinade und einen runden, göttlichen Käse in Eichenblättern namens Banon, den auch ich fast jeden Abend zum Dessert nahm.
    Die Polizei informierte die deutsche Botschaft, die Leichen wurden fortgebracht und zwei Tage später erschien mir alles wie ein alptraumhafter Spuk, der in dieser von alten Geschichten und verwunschenen Ruinen geprägten Gegend durchaus einen Platz verdient hatte.
    Was ich jedoch nicht begriff, war mein Interesse an den Toten. Ich hatte sie beobachtet, sogar ausgeforscht, ihnen gar nachspioniert bei ihren Spaziergängen im Dorf. Bei ihren Besuchen in Restaurants hatte ich mich am Nebentisch platziert, in Andenkenläden hinter Postkartenständern versteckt, um sie ungestört beobachten zu können. Niemals jedoch hatte ich etwas entdeckt, was dem Bild eines gewöhnlichen Touristenpaares widersprach. Meine Anteilnahme an den beiden lag also in mir selbst begründet, und das machte mich ein wenig konfus.
    Sechs Tage nach dem Vorfall zogen neue Leute in das Haus gegenüber ein. Natürlich hatte der Besitzer eine gründliche Reinigung der Räume in Auftrag gegeben. Geschosse, die durch Münder in Gehirne gelangen, verursachen unschöne Spuren an Wänden und Möbeln.
    Die neuen Mieter nahmen die Rolle der beiden Toten ein. Auch sie tranken abends Wein am Tisch aus Stein, auch sie sprachen freundlich und unaufgeregt miteinander.

Ein Vogel im Käfig weiß im Frühling sehr wohl, dass es etwas gibt, wozu er taugt, weiß sehr wohl, dass er etwas zu tun hat, aber er kann es nicht tun, was ist es doch? Er kann sich nicht recht erinnern, dann kommen ihm unbestimmte Vorstellungen, (...) dann prallt er mit dem Kopf an die Stäbe des Käfigs. Und der Käfig bleibt und der Vogel ist wahnsinnig vor Schmerz.
    Le petit chou-chou
    Ich dachte über eine vorzeitige Abreise nach. Der Urlaub in Südfrankreich hatte mir ohnehin nicht die Entspannung gebracht, die ich erhofft hatte. Wenn die Seele blockiert ist, helfen weder Sonne noch schöne Landschaften, noch der Kontakt zu freundlichen Leuten, die abends mit einem das eine oder andere Fläschchen Côte du Lubéron leeren. Eine Sinn- und Lebenskrise hatte mich voll erwischt.
    Ich kletterte ein letztes Mal auf den Felsen, an dem das Dorf Saignon kauerte wie ein Vogel auf seinem Nest. Die Sonne hatte noch nicht ihre volle Kraft entfaltet. Meine Schritte scheuchten schlaftrunkene Vögel auf – sie ließen sich
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