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Grappa 10 - Zu bunt für Grappa

Grappa 10 - Zu bunt für Grappa

Titel: Grappa 10 - Zu bunt für Grappa
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Grappa, jetzt drehst du durch, dachte ich.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine Stimme in meinem Rücken.
    Ich schnellte herum.
    »Ist Ihnen nicht gut?«, folgte die zweite Frage.
    »Doch, doch«, wehrte ich ab. »Ich habe mich nur erschrocken. Das ist alles.«
    »Sie stehen vor diesem Haus, haben die Augen geschlossen und atmen tief durch«, fuhr der Mann fort. »Kannten Sie die Leute, die hier wohnten?«
    »Warum fragen Sie das?« Ich hatte mich wieder gefasst.
    Der Mann war groß, kräftig und hatte blondes zerzaustes Haar, das ziemlich durcheinander war. Auf der gekrümmten Nase waren Spuren von Sonnenbrand zu erkennen, die Falten um die Augen verrieten, dass er sich ungeschützt südlicher Sonne ausgesetzt hatte.
    »Ich wohne nebenan«, behauptete der Mann. »Ich heiße Joe Sterner. Ich sah Sie hier stehen und dachte, dass Sie vielleicht eine Verwandte der beiden sind ... oder eine Freundin. Vielleicht jemand, der noch nicht weiß, dass die beiden ...«
    Seine Stimme war tief und hatte einen leichten Akzent.
    »Doch, ich weiß es. Ich kannte die beiden aber nur vom Sehen«, sagte ich. »Sie hatten das Ferienhaus neben mir gemietet und ich habe die Schüsse gehört – an jenem Morgen, als es passiert ist.«
    »Sie waren zur selben Zeit in der Provence?«
    »Ja. Ein merkwürdiger Zufall, dass beide auch noch aus der gleichen Stadt wie ich kommen, nicht wahr? Was wissen Sie über Kolatschke und seine Frau?«
    »Nicht viel. Er hat mich mal besucht, tat, als interessiere er sich für meine Arbeit. Ich bin Bildhauer.«
    »Er tat nur so? Dann hat er sich nicht wirklich für Ihre Arbeit interessiert, oder was?«
    »Genau so war es. Er war allerdings ganz wild auf meine Skizzensammlung.«
    »Ihre Skizzen?«
    »Nein, sie waren nicht von mir. Ich besaß Skizzen aus dem letzten Jahrhundert. Fachleute haben sie van Gogh zugeordnet.«
    »Kolatschke war Antiquitätenhändler.«
    »Sicherlich. Aber besonders seriös schien er nicht gewesen zu sein.« Es klang bitter.
    »Was ist passiert?«
    »Ich weigerte mich, ihm die Sachen zu verkaufen. Eine Woche später wurde bei mir eingebrochen«, erzählte Sterner.
    »Glauben Sie, dass Kolatschke ...?«
    »Natürlich. Aber beweisen konnte ich es nicht.«
    »Tut mir Leid.«
    Unschlüssig standen wir noch immer vor dem Tor herum.
    »Wer sind Sie eigentlich? Ich erzähle Ihnen mein ganzes Leben und ich weiß überhaupt nichts von Ihnen!« Er lachte und es stand ihm gut.
    »Ich bin Journalistin«, klärte ich ihn auf. »Arbeite für eine Zeitung. Mein Name ist Maria Grappa.«
    »Ich habe noch nie was von Ihnen gelesen«, gab er zu.
    »Wahrscheinlich lesen Sie die Lokalzeitung nicht.«
    »Allerdings. Ich lese nur überregionale Blätter.«
    Ich lachte. »Mein Ego wird's überleben.«
    »Kann ich das nicht wieder gut machen?« Seine Stimme und seine Nähe machten mir weiche Knie.
    »Und wie?«, hörte ich mich sagen.
    »Wie wär's mit einem Abendessen? Ich habe einen Bärenhunger. Ich kenne ein sehr gutes französisches Restaurant. Es ist hier ganz in der Nähe.«
    »Gern. Worauf warten wir also noch, Herr Sterner?«
    »Sagen Sie Joe zu mir«, forderte er.
    Er reichte mir seinen Arm. Beschwingt gingen wir los. Der Zustand meiner Gefühle sagte mir, dass ich den Männern nie endgültig würde abschwören können. Sie waren so hinreißend andersartig, so schrecklich fremd und doch manchmal so verdammt nah, sie rührten mein Herz an und verletzten es zugleich immer wieder.
    Ich achtete nicht darauf, durch welche Straßen er mich führte, irgendwann saßen wir an einem kleinen Tisch. Das Restaurant wartete mit dem üblichen Schnickschnack auf, der eine romantische Stimmung erzeugen soll: Kerzenlicht, leise Musik, an den Wänden schwülstige Bilder von mehr oder weniger bedeckten Frauenkörpern.
    »Ich kann nicht viel essen«, murmelte ich. »Ich war heute schon beim Italiener.«
    »Nehmen Sie einen Salat. Ich kann den mit den Gambas empfehlen«, schlug er vor. »Champagner?«
    »In Ordnung.«
    Er orderte die Sachen. Ich betrachtete ihn. Er war kein schöner Mann, überhaupt nicht elegant, sondern vital, nicht gut, sondern zweckmäßig gekleidet, er roch nach Mann und nicht nach Duftwasser. Seine Hände waren groß und breit, voller Schwielen, frischer und vernarbter Risse. Sein weißes Hemd hatte nicht nur Flecken unter den Achseln, sondern auch am Kragen. Es sah aus wie Blut, als habe er sich beim Rasieren geschnitten. Das Prächtigste an seinem Gesicht waren die Zähne – ebenmäßig und
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