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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug
Autoren: Frank Goyke
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bin so hässlich, ich bin der Hass.
    Barbaras Rettung wurden Bücher. Immer mehr Bücher. Fressen. Immer mehr fressen. Bier. Immer mehr Bier. Später Fusel. Und Hass. Und Selbsthass. Immer mehr.
    Barbara taumelte in die Küche, holte die zweite Flasche. Noch ein paar Schlucke, dann war sie ausgelöscht. Niemand sah sie. Nicht einmal Bruno schaute ihr zu.
     
    Uplegger hatte Marvin von den Großeltern abgeholt. Es war schon spät, aber trotzdem, noch an diesem Abend sollte es sein. Er würde Barbaras Ratschlag in die Tat umsetzen. Als sie auf Morten Kröner gewartet hatten, hatte er für eine Stunde die Inspektion verlassen und in der Kröpeliner Straße Delikatessen gekauft: Parmaschinken und Bergamasker Salami, Pecorino aus Sardinien, mandelgefüllte Oliven und zwei Sorten Brot, die Pane Olio und Pane Diavolo hießen. Zufällig war sein Blick in das Schaufenster eines Heimausstatters gefallen, wo er jene scheußliche Patchwork-Decke mit Troddeln entdeckt hatte. Dieselbe lag nun auf der Ziegenledercouch, ein echter Stilbruch, der ihn begeisterte. Nachdem Uplegger beschlossen hatte, die Wohnung zu verändern, war der Schmerz in seinem Herzen sanfter geworden. Der Abschied hatte begonnen.
    Penelopes Bild war noch da. Der Verkauf hatte nicht geklappt. Offenbar war der Bieter einer der vielen Spinner auf dieser Welt gewesen.
    Marvin war in seinem Zimmer und las seine Mails. Dass es noch einen Nachtimbiss geben sollte, gefiel ihm, weil es erlaubte, länger aufzubleiben. Uplegger deckte laut summend den Tisch, um seine Nervosität zu überspielen. Dann rief er seinen Sohn.
    Marvin kam wie üblich in Ich-bin-cool-Geschwindigkeit angeschlurft, aber kaum hatte er die Küche betreten, da hellte sich sein Gesicht auf.
    »Was ist das?«
    »Abendbrot.«
    »Bist du kein Ovo-lakto-Vegetarier mehr?«
    »Manchmal weiche ich meine Prinzipien eben auf. Zur Feier des Tages …«
    Marvin setzte sich auf seinen Stammplatz am Fenster. »Was feiern wir denn?«
    »Och, nichts.«
    »Nichts? Das kann man jeden Tag feiern.« Marvin lüftete die Aluminiumfolie, mit der Uplegger ein Keramikfässchen bedeckt hatte. »Das ist ja Butter!«
    »Ja.«
    »Wirklich Butter? Keine Margarine mit Butterersatzstoffen oder so? Nichts Nachkriegsmäßiges?« Er stippte den rechten Zeigefinger in das Fässchen und leckte ihn ab. »Butter!«, seufzte er selig.
    Uplegger, sehr stolz auf sich, nahm Platz, schaute versonnen seinem Sohn zu, wie dieser sich eine Scheibe vom Pane Olio abschnitt, sie dick mit Butter bestrich und eine Scheibe Parmaschinken obenauf legte.
    »Haben wir keinen Ketschup?«, fragte er. Uplegger nahm den kleinen Freudendämpfer gelassen, drehte sich um und fischte die Flasche Bio-Ketschup aus dem Kühlschrank. Dann nahm er all seinen Mut zusammen: »Marvin, wie fühlst du dich?«
    »Jetzt?«
    »Ja, jetzt … aber auch mehr so allgemein …« Das war kein guter Anfang.
    »So allgemein?« Große Ratlosigkeit verbreitete sich über das Gesicht seines Sohnes. »Na, ja, gut.«
    »Aber manchmal bist du sicher auch traurig?«
    Marvin hatte aufgehört zu kauen und starrte seinen Vater an. Die Ratlosigkeit war Misstrauen gewichen.
    »Papa, was ist los?«, fragte er mit vollem Mund. Uplegger unterließ es, ihn darauf hinzuweisen.
    »Ich meine ja nur, wir sollten … Also ich will doch nur wissen … Es kann einem Menschen nicht immer nur gut gehen …«
    »Nö.«
    »Du bist also manchmal traurig?«
    »Kommt vor.«
    »Sehr traurig?«
    »Papa, willst du wissen, ob ich heule? Wieso? Was ist denn mit dir? Ich hab gar keinen Appetit mehr!«
    »Na ja«, sagte Uplegger langsam, »ich dachte, es ist vielleicht wichtig, wenn wir mal über Gefühle reden.«
    »Wozu?«
    Uplegger atmete ein paar Mal tief ein und aus.
    »Ach was, lass uns jetzt reinhauen!«, feuerte er seinen Sohn an. Als sie kurz darauf beide zufrieden kauten, war er eigentlich ganz froh: Er hatte es wenigstens versucht.
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