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Falkengrund Nr. 34

Falkengrund Nr. 34

Titel: Falkengrund Nr. 34
Autoren: Martin Clauß
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    „Nicht mit mir“, flüsterte Lauren.
    Trent lächelte. „ Nur mit Ihnen, Verehrteste …“
    „Aber das Boot … sehen Sie es an! Es ist morsch und …“
    „Gestatten Sie, dass ich Sie korrigiere. Es ist nicht morsch. Barry und ich haben den halben Sommer damit auf dem See verbracht, ohne ein einziges Mal nasse Füße zu bekommen. Was morsch ist, ist der Steg. Deshalb biete ich Ihnen meine Hand an, aber Sie haben sich entschlossen, sie nicht anzunehmen.“
    Die Anlegebrücke führte schmal und zerbrechlich weit in den See hinein. Unnötig weit, denn der Kahn, von dem die beiden jungen Leute sprachen, war als einziger dort festgemacht, etwa auf der Mitte des Stegs, ein einsamer, kantiger Fleck. Im silbernen Licht des nahezu vollen Mondes lag die Wasserfläche vor ihnen wie ein glänzendes schwarzes Seidentuch. Bewegungen waren auf dem See kaum zu erkennen. Winzige Wellen rieselten lautlos gegen das schilfbewachsene Ufer, die Schatten einiger Bäume hatten sich ruhig auf die dunkle Fläche gelegt. Der Geruch des stehenden Gewässers konnte jetzt, im Spätsommer, mitunter penetrant brackig werden, doch nicht heute. Kalte Regenschauer in den vergangenen Tagen hatten das Wasser aufgefrischt, alles Abgestandene und Faulige weggeschwemmt.
    Es war eine idyllische Nacht, und Trent war sicher, dass Lauren in ihrem Herzen den Kampf gegen den verführerischen Reiz dieser abendlichen Stunde längst aufgegeben hatte. Es war nur ein Spiel, das sie spielte, ein Zögern und Zaudern, das die Schicklichkeit gebot. Trent wusste es zu deuten, und je mehr sie sich zur Wehr setzte, desto besser wurde seine Stimmung. Forsch pflückte er ihre Hand von ihrer Hüfte und zog die junge Frau sanft über die Brücke.
    „Es muss schon nach neun sein“, sträubte sie sich weiter. Ihr beigefarbener Afternoon Dress raschelte. Vor allem das reich mit Spitzen bestückte Oberteil, dessen hoher, enger Kragen bis knapp unter ihr Kinn reichte, machte entzückende Geräusche. Sie musste den Kopf recken, wenn sie nicht ständig an den Kragen stoßen wollte, und diese ungewollte Gebärde gab ihr eine berückende Aura von Hochmut. Ihre Taille war eng zusammengeschnürt, und das ließ sie verletzlich wirken, wie eine Porzellanfigur, die man aus Angst, sie zu zerbrechen, nie aus der Vitrine nahm. Ein Mann konnte diese Taille bequem mit beiden Händen umfassen. Ihre Füße steckten in schwarzen Stiefeln. Sie waren ihr mindestens eine Nummer zu klein und mit glitzernden Glasperlen bestickt.
    Trent liebte diese Mode. Er liebte die reichen Verzierungen, den weichen Stoff und die anatomisch unmögliche Wespentaille. Am meisten war er in Laurens blasse, etwas mollige Arme vernarrt, von denen die kurzen Puffärmel genügend freiließen. Sie beschäftigten ihn beinahe noch mehr als ihr hübsches, einfaches Gesicht mit den unerhört sinnlichen Lippen.
    Er selbst steckte in einem dunklen, karierten Anzug. Er hatte ihn letzte Woche in einem exklusiven Geschäft erworben, als er geschäftlich in London weilte – der erste Anzug dieser Preisklasse, den er nicht auf Pump gekauft hatte. Er war noch nicht ganz darin zu Hause. Wenn er nervös wurde, drehte er seine Baskenmütze hin und her, und er wusste nie, wie herum er sie gerade aufhatte.
    „Es ist eben erst acht“, log er mit einem Blick auf seine silberne Taschenuhr und zeigte sie seiner Begleiterin. In weiser Voraussicht hatte er sie um eine Stunde zurückgedreht. Sie war ein Erbstück seines Großvaters, und von diesem wusste er, dass er dieselbe List häufig bei seiner Großmutter angewandt hatte. Er lachte eine Spur zu laut, um das Knarren der Bohlen unter ihren Füßen zu übertönen.
    Der Kahn wartete reglos in der Dunkelheit, ein kurzes, stumpfes Boot, nicht gerade ein Ausbund an Eleganz, aber auf eine pragmatische Weise Vertrauen einflößend. Die Luft präsentierte sich kühl und totenstill. Die Vögel im Gebüsch schliefen wohl schon, die geflügelten Schatten, die noch vor kurzem vor dem Mond vorübergestreift waren, hatten sich in andere Gefilde zurückgezogen.
    „Es ist unheimlich“, sagte Lauren. „Wenn uns hier etwas zustößt, wird uns niemand hören.“
    „Es ist nur ein See“, erwiderte Trent. „Keine Stromschnellen, keine Wasserfälle, keine Meeresungeheuer.“ Wieder lachte er. „Gewissermaßen ist Lake Easton der langweiligste Ort der Erde – oder war es bis zu der Sekunde, da Sie an seinem Ufer erschienen.“
    Lauren quittierte die Worte mit einem verlegenen Schmunzeln. Nicht
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