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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug
Autoren: Frank Goyke
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grauer Schopf. Dieser Kopf bewahrte das forensische Wissen von Doktor Geldschläger. Sekunden später tauchte neben ihm das Gesicht seiner Kollegin Ann-Kathrin Hölzel auf: »Wir haben uns zu einer ersten Auswertung zurückgezogen.«
    »Und was sagt ihr?«
    »Wie es aussieht, erhielt das Opfer mindestens sieben Stiche.«
    »Sieben?«, unterbrach Breithaupt den Forensiker lauthals vom Zwischendeck. »Das klingt ja wie ein Hassverbrechen.«
    ***
     
    Gunnar Wendel hatte die weiteren Ermittlungen in Barbaras und Upleggers Hände gelegt und mit Breithaupt den Tatort verlassen. Barbara schlug vor, nun Rüdiger Sokolowski zu vernehmen, der seit über einer Stunde in einem Büro der Bahnhofsverwaltung wartete. Eine mitfühlende Seele hatte ihn mit Kaffee versorgt. Der kleine, untersetzte Mann wirkte mitgenommen, zudem schien seine Miene Schuldbewusstsein auszudrücken. Er erhob sich und reichte den beiden Kommissaren eine eiskalte Hand.
    »Nehmen Sie wieder Platz«, bat Barbara und setzte sich ihm gegenüber an den mit Kaffeeflecken übersäten Tisch. Uplegger entschied sich für die Stirnseite und schlug sein Ringbuch auf. Obwohl sie sich manchmal wie Hund und Katze verhielten, waren sie doch ein eingespieltes Team und hatten wortlos die Rollen verteilt: Sie würde die Vernehmung leiten und er Notizen machen.
    »Herr Sokolowski, bevor Sie berichten, wie Sie den Toten gefunden haben – beschreiben Sie uns doch einmal die Fahrt.«
    »Sicher.« Sokolowski umklammerte mit der Rechten den Kaffeepott, den das Logo der Lokführergewerkschaft GDL zierte. »Ich fange in Güstrow an, ja? Dort sind zwölf Personen zugestiegen.«
    »Das wissen Sie so genau? Haben Sie gezählt?«
    »Mache ich immer.« Sokolowski lächelte verlegen. »Ich bin ein Zahlenmensch.«
    »Sie waren bestimmt nicht immer Wachschützer …?«
    »O nein. Von der Ausbildung bin ich Schiffbauingenieur. Bis kurz nach der Wende habe ich am Institut für Schiffbau gearbeitet, in dieser schönen Villa im Patriotischen Weg, wo jetzt der Generalstaatsanwalt seinen Sitz hat. Kennen Sie bestimmt.« Barbara nickte. »Tja, das Institut gibt’s schon lange nicht mehr. Ich hab zeitweise Arbeit auf der Warnowwerft gefunden, aber nach drei Jahren war auch dort Schluss. Sie wissen ja, wie es um den Schiffbau bestellt ist: Krise, Krise, Krise … Danach das Übliche: Arbeitslosigkeit, ABM, wieder zum Amt, eine sinnlose Umschulung nach der anderen. Eine echte ostdeutsche Maßnahmenkarriere. Als ich schon beinahe alle Hoffnung aufgegeben hatte, bekam ich das Angebot vom Bahnschutz vermittelt. Wachschutz, sagt man, sei ein prosperierendes Gewerbe. Na ja, Hauptsache Arbeit.« Sokolowski zuckte mit den Schultern.
    »Wohl wahr«, sagte Barbara, die solche Geschichten zur Genüge kannte. Vom Schiffbauingenieur zum Wachmann, das war zweifellos ein Abstieg, der ebenso Resignation wie gefährliche Wut generieren konnte. »Es sind also zwölf Personen in Güstrow in den Zug gestiegen. Kannten Sie jemanden?«
    Sokolowski räusperte sich. »Fangen wir mal mit den drei Jungs an.«
    »Jungs?«
    »Jugendliche. So sechzehn, siebzehn, achtzehn. Wenn ich wochentags Frühschicht habe, sehe ich sie in Mistorf zusteigen. Ich vermute, dass sie dort wohnen und in Güstrow zur Schule gehen.«
    »Und die sind bis Mistorf mitgefahren?«
    »Ja.«
    »Ziemlich spät, finden Sie nicht?«
    »Na, die werden sich rumgetrieben haben. Güstrow ist vielleicht nicht Rostock, aber es hat ganz bestimmt mehr zu bieten als ausgerechnet Mistorf.«
    »Wen haben Sie noch gesehen?«
    »Eine junge Mutter mit Kind. Mit der habe ich schon mal ein paar Worte gewechselt, daher weiß ich, dass das Kind ein Junge ist. Ein halbes Jahr alt, glaube ich. Streng genommen waren es also 13 Personen.«
    Barbara setzte ein Lächeln auf, das nicht aus dem Herzen kam.
    »Ein Kleinkind wollen wir aus dem Kreis der Verdächtigen guten Gewissens ausschließen. Wie sah die junge Frau aus?«
    Sokolowski wiegte den Kopf.
    »Ich kann mir Gesichter nicht gut merken … Anfang zwanzig, würde ich sagen, und blond. Aber Moment!« Kurz blitzte es in Sokolowskis Augen auf, und er beugte sich ein wenig vor. »Ich weiß sogar, wie sie heißt. Cindy. Einmal ist sie mit einem jungen Kerl nach Güstrow gefahren, der hat sie so angesprochen.«
    Eine blonde Cindy, dachte Barbara amüsiert. Vermutlich Friseuse. Oder Frisörin? Sie ist, wenn überhaupt, mit einem Busfahrer verheiratet, der ein Eigenheim baut, und wirft jedes Jahr ein Kind. Davon kriegt sie
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