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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug
Autoren: Frank Goyke
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saß ein Mann. Der wird schon 50 gewesen sein … Ich habe ihn nicht genau gesehen, weil er wie ich in Fahrtrichtung schaute …«
    »Was hatte er an?«
    »Einen blauen Blazer, glaub ich. Ziemlich dick.«
    »Der Mann?«
    »Der Blazer. Gefüttert. Logisch, gucken Sie doch mal aus dem Fenster!«
    Barbara tat es, Uplegger nicht. Draußen war außer Dunkelheit nichts zu sehen. Schneeflocken setzten sich auf das Glas und schmolzen.
    Barbara schrieb Mann, 50, blauer Blazer , während Uplegger fortfuhr: »Weitere Fahrgäste?«
    »Einige wenige waren beim Aussteigen zu sehen. Und ich habe schon in Pölchow bemerkt, dass oben jemand geraucht hat und …«
    »Geraucht?«, unterbrach Uplegger. »Das ist doch verboten?«
    »Wenn Sie diese Typen gesehen hätten …«
    »Was für Typen?«
    »Rocker. Niedrige Hemmschwelle, egozentrisches Weltbild, Sie wissen schon.«
    »Fuhren die bis Rostock mit oder stiegen die schon in Papendorf aus?«
    »Nein, nicht in Papendorf. In Rostock.«
    »Und in Papendorf?«
    »Niemand.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich nicht. Den Wagen hinter mir konnte ich ja gar nicht sehen. Außerdem saß ich links, und der Bahnsteig ist rechts.«
    »Es kann also jemand ausgestiegen sein, ohne dass sie ihn sahen?«
    »So ist es. Hören Sie, ich muss …«
    »Nur noch einen Moment.« Uplegger hob begütigend die Hand. »Ist Ihnen ein Mann aufgefallen, der … ähm, lange, ungepflegte Haare hatte und möglicherweise von der Anschlagtafel in Papendorf ein Fahrrad abschloss?«
    »Wer fährt bei diesem Wetter schon Fahrrad?«
    »Ist Ihnen ein solcher Mann aufgefallen?«
    »Nein«, sagte Giehlow entschieden. Damit war er entlassen.
    »Sokolowski muss doch auch bemerkt haben, dass die Rocker rauchten«, sagte Barbara auf dem Weg durch die Bahnhofshalle. »Warum hat er uns das verschwiegen?«
    »Schauen Sie sich den Mann doch mal an. Gegen solche Typen ist der machtlos. Vermutlich war es ihm peinlich.«
    »Er hätte sie melden können.«
    »Hätten sie dann mit dem Qualmen aufgehört? Es war kurz vor Feierabend …«
    »Ich mache auch kurz vor Feierabend noch korrekte Arbeit«, entgegnete Barbara leicht schnippisch. »Wie auch immer, Sokolowski ist ein wichtiges Glied in der Kette. Kümmern Sie sich um ihn?«
    Uplegger nickte. Sie verließen die Halle und betraten den Vorplatz. Zwei Gehilfen der Gerichtsmedizin waren dabei, eine Trage und den Leichensack aus dem Kastenwagen zu heben, während die meisten Polizeifahrzeuge schon abgezogen waren. Ein junges Pärchen hatte sich knutschend in eine dunkle Ecke verdrückt.
    Nach ein paar Schritten auf Upleggers Lancia zu sah Barbara noch einmal den Zug 9511 auf Gleis eins stehen. Er war nach wie vor hell erleuchtet, als weiße Farbflecke erkannte man die Overalls der Spurensicherung.
    Der Schnee war nicht mehr mit Regen vermischt, auf die Gehwege und die Wiese im Zentrum des Platzes hatte sich kalter Puderzucker gelegt, eine dünne Eisschicht überzog die Pfützen am Straßenrand. Als Uplegger die Fernentriegelung betätigte, reagierte sein Wagen mit einem Piepton und blinzelte mit den Blinklichtern.
    Barbara zückte ihr Handy, rief Ann-Kathrin Hölzel an und bat sie, der Autopsie beizuwohnen. Kaum jemand machte das gern, aber es gehörte nun einmal zum Job. Im Wagen knipste Barbara die Deckenleuchte an, um Upleggers Notizen zu überfliegen. Ihr Partner steckte den Schlüssel ins Zündschloss, fuhr aber noch nicht los. Die beiden Kommissare sprachen den Fall noch einmal durch.
    Am interessantesten waren natürlich jene Fahrgäste, die ab Schwaan im Zug gewesen waren, denn nach Lage der Dinge musste sich unter ihnen der Mörder befinden oder vielleicht auch die Mörderin – es sei denn, Sokolowski sagte über seinen ersten Gang durch den Zug, auf dem er Andriejus Medanauskas noch lebend gesehen haben wollte, die Unwahrheit. Vorerst gab es aber wohl keine Veranlassung, an seinen Worten zu zweifeln.
    Ob der Wachschützer allerdings wirklich alle Passagiere gesehen hatte, das stand auf einem anderen Blatt. Zwar war es unmöglich, bei den Halten auf der vom Bahnsteig abgewandten Seite einzusteigen, denn dort blieben die Zugtüren verriegelt. Jedoch hatte der Täter möglicherweise den Zug bereits auf der Fahrt nach Güstrow benutzt; Sokolowski hatte nicht darauf geachtet, ob dort alle Insassen ausgestiegen waren. Der Mörder hätte im Zug auf sein Opfer warten können, aber das hatte nur einen Sinn, wenn er genau gewusst hatte, dass Andriejus Medanauskas immer den 9511 benutzte.
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