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PR Ara-Toxin 04 - Die Eiserne Karawane

PR Ara-Toxin 04 - Die Eiserne Karawane

Titel: PR Ara-Toxin 04 - Die Eiserne Karawane
Autoren: Wim Vandemaan
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Die neun Träume des Orontiu Pleca
    Traum Nr. 1:
    Untergang für immer
    Ich versinke. Das Wasser ist von einem hellen, transparenten Blau. Ich sinke schon so lange wie durch flüssiges Glas.
    Ferne Geräusche, ein Wispern, kaum zu unterscheiden vom beständigen Murmeln der Strömung. Was ist das? Ich lausche. Wehmütig klingt es, aber nicht, wie unsereiner wehmütig ist, oder wie ein Jungtier es wäre, das die Mutter verloren hat. Eine Art anorganische Klage, ohne Hoffnung, rettungslos verloren von Anbeginn.
    Ich sehe die Lichtriffe nach oben gleiten. Natürlich gleiten sie nicht nach oben, ich bin es, der sinkt. Das Schachtmeer hinab.
    Welches Schachtmeer?
    Unter mir erscheint ein Hulaunenschwarm; die Kiemengeweihe ineinander verhakt, bilden sie ihr Netz. Gleich müsste ich gefangen sein, aber das bin ich nicht. Lautlos passiere ich das Geweihenetz, als wäre ich so klein, kleiner als die winzigen Buttani, die sich hier noch verfangen.
    Hulaunen und Buttani - es muss also das Schachtmeer Ylucc sein.
    Ylucc. Es macht mir Angst, dass es dieses ist, aber zugleich weiß ich, dass ich mir meine bisherige Unkenntnis nur eingeredet habe. Von Anfang an habe ich gewusst, dass es Ylucc ist; kein anderes kam infrage. Das dunkelste der drei Schachtmeere.
    Ich sinke. Offenbar muss ich nicht atmen, schon lange nicht mehr. Offenbar ist es nur eine Legende gewesen, dass es so tief im Schachtmeer unerträglich stark drücken soll. Ich spüre keinen Druck, nur mein eigenes Gewicht zieht mich hinab. Ich bin ein Lot, das den Abgrund ermisst. Ich weiß nicht wohin, aber mein schwerer Leib kennt den Weg, und ich lasse mich leiten.
    Eine Coda von Piriccen zieht vorbei, der eine mit dem Maul im After des anderen verbissen, einer nach dem anderen nach dem anderen. Eine riesige Verdauungsgemeinschaft. Ich habe schon einmal eine solche Coda gesehen, aber sie trieb an der Küste des Schachtmeeres, die Leiber waren in Fetzen, aufgeplatzt, weil ihnen der Gegendruck der Tiefe fehlte.
    Wie schlank sie sind, wenn sie lebendig sind, wie biegsam. Der Jägerkopf der Coda sieht mich an, sein Hörauge brummt, sondiert mich, plötzlich wendet er sich ab, wie auf einen Befehl.
    Ich sinke weiter, unaufhaltsam.
    Nachtschwärze mischt sich ein ins Wasser; obwohl es dunkel wird, sehe ich. Ich bin hellsichtig.
    Die Klagerufe werden lauter, deutlicher, und doch wieder nicht. Sie klingen so nah, so schön, dass ich sie zu verstehen meine, aber wenn ich ein einzelnes Wort zu begreifen suche, entgleitet es mir.
    Was wird dort beklagt? Was tut sich leid? Was empfindet dort unten diesen Schmerz, für den es kein Wort gibt?
    Oder klagt man um mich, um jemanden wie mich, um jeden, der wie ich hinabsinkt ins Schachtmeer?
    Das wundert mich, denn mir geht es nicht schlecht. Kein Grund zur Klage. Natürlich werde ich, wie mir plötzlich einleuchtet, nie mehr aufsteigen, natürlich ist das ein Untergang für immer. Auch wenn ich so tue, als müsse ich nicht atmen: Irgendwann muss ich es doch und werde es nicht nachholen können hier unten.
    Ich versuche, mich selbst in den Blick zu nehmen, aber es gelingt mir nicht. Ich sinke kopfunter.
    Längst habe ich die Niemandszone passiert, in die nicht einmal die gepanzerten Tauchboote der Karawanserei vordringen konnten
    - zu groß die Gewalt des Wassers, zu gewaltig sein Druck.
    Einen Moment lang glaube ich, ein Wolkenmeer zu sehen, aber was dort unter mir wie ein Haufen Quellwolken schwebt, müssen die Fraßschirme der Pentracci sein, viele Hundert Meter durchmessende dünne Hautgewebe, auf denen die Kadaver toter Schachtmeerestiere niedergehen wie Regen. Die Schirme nehmen sie auf, verdauen sie allmählich in den kommenden Jahren.
    Ich habe Fotografien dieser Geschöpfe gesehen, aufgenommen aus den Tauchbooten, die die Forschungsstation der Karawanserei Poi unterhält. Dass sie so erhaben sind, so unvorstellbar groß und dabei so verschwiegen, in sich gekehrt, war den Bildern nicht zu entnehmen.
    Mich jedoch nehmen die Fraßschirme nicht auf.
    Alles dunkel, aber es bleibt eine durchsichtige Dunkelheit.
    Dann erblicke ich tief, tief unten den Grund des Schachtmeeres. Eine Welt, allem Leben abgewandt; unzugänglich selbst für die Toten.
    Schwarzer Sand.
    Warum lande ich nicht auf dem Grund? Warum schwebe ich umher, als müsse ich noch etwas finden, hier, wo doch nichts ist, am Ende von allem?
    Plötzlich entdecke ich es. Im Grund des Meeres ist eine Öffnung. Sie ist quadratisch, die rechten Winkel sauber und scharf
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