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Der General und das Mädchen

Der General und das Mädchen

Titel: Der General und das Mädchen
Autoren: Jacques Berndorf
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schwiegen wir, während wir durch den lauen Abend fuhren, Tuttings Anwesen lag auf der Kuppe eines Hügels und war nach Süden ausgerichtet. Es lag sehr massig und weiß im Abendlicht und hatte im Rücken einen Mischwald. Wir mußten eine Abbiegung von der Landstraße durch eine Senke fahren, die vor einem hohen, massiven Stahltor endete. Rechts und links wanderte ein hoher Zaun endlos weiter, schlug wohl einen Riesenkreis um das ganze Grundstück. Auf den Eckpfeilern des Tores saßen auf beiden Seiten Kameras. Hinter dem Tor lag ein parkähnliches Gelände, das Haus war von hier aus nicht mehr zu sehen.
      Ich stieg aus und suchte nach einer Klingel, aber es gab keine. Die Augen der Kamera wanderten mit mir. Dann schwang das Tor auf, ich setzte mich wieder in den Wagen und fuhr hindurch. Es ging eine Bodenwelle hinauf, und das Haus kam wieder in Sicht. Wie sich jetzt zeigte, waren es mehrere Häuser, die wabenartig aneinanderklebten.
      »Heiliger Strohsack, das ist aber ein Eigenheim«, murmelte Germaine.
      Tutting stand vor einer Art breiten Freitreppe. Et war ein hagerer, fast asketisch wirkender Mann mit kurzem grauem Kraushaar. Er trug eine dunkelgrüne Cordhose zu einem offenen weißen Hemd, seine nackten Füße steckten in Sandalen.
      »Guten Abend«, sagte er mit einem gewinnenden Lächeln. »Tut mir leid, aber eher hatte ich keine Zeit. Frau...?«
      »Germaine Suchmann, meine Freundin«, sagte ich. »Ich bin Baumeister.«
      »Willkommen«, sagte er gänzlich unpathetisch. »Kommen Sie herein, meine Frau hat einen Eistee gemacht.«
      Das klang freundlich zurückhaltend und sehr bürgernah. Hätte er vertraulich hinzugefügt, wir möchten um Gottes willen seinen großen Reichtum und all das vergessen, hätte es mich auch nicht gewundert. Sein Händedruck war fest, sein Gesicht ein wenig rund, trotzdem blieb der asketische Eindruck. Seine Augen waren von jenem strahlenden Blau, wie man es in den Wiesenniede-rungen an der Küste häufig findet. Seine Hände waren schlank und sehnig. Er war, wie Trude Schott es genannt hatte, ein wirklicher Typ.
      »Wir gehen am besten auf die Terrasse«, sagte er. Dann sah er Germaine an. »Sind Sie auch Journalistin?«
      »O nein«, sagte sie so ungezwungen wie möglich. »Der General war mein Freund.«
      »Ach ja«, sagte er ohne jede Betonung. »Ja, das tut mir leid.« Dann sah er unsere erstaunten Gesichter und erklärte: »Das ist mein Arbeitshaus. Ich brauche viel Platz.«
      Das Haus, das von außen so ausgesehen hatte wie eine große, zweistöckige Villa, bestand innen aus einer einzigen Halle. Es war schwierig auszumachen, was an dieser Halle am auffälligsten war. Der Raum war bis in die Höhe des ersten Geschosses rot verklinkert, dann kam eine etwa zwei Meter breite hölzerne Balustrade, die rundum lief. Der gesamte Dachstuhl ruhte auf vier Eichenstämmen, bei deren Anblick ich sofort fragen mußte: »Wo haben Sie denn diese Stämme her?«
      »Stämme und Balken sind gut zweihundert Jahre alte Eiche. Ich habe sie in einem alten Bauernhof bei Husum gefunden, und weil es nicht anders zu machen war, habe ich den Hof gekauft, das Haupthaus mit neuem Holz renoviert, die alten Balken rausgezogen und hier eingebaut. Ich sage immer: Das ist das teuerste Brennholz der Republik.«
      »Wie viele Gewehre sind das in den Schränken?«
      »Dreißig ungefähr, aber ein Teil davon unbrauchbare Sammlerstücke.«
      »Remingtons?«
      »Aber ja, insgesamt sechs.«
      In der Mitte der Halle war ein offener runder Kamin auf einen Basaltblock gesetzt. Der Rauchfang war ein riesiger Trichter aus mit Weißblech beschlagenem Eichenholz, aufgehängt am Firstbalken. In diesem Haus gab es nicht eine einzige normale Lösung.
      »Wer hat denn die Statik bei der Baubehörde durchgedrückt?«
      Er lächelte wie ein Junge.
      »Ich. Bei einem Fest.«
      Eines fiel mir sofort auf: Es gab in diesem großen Raum kein einziges Buch. Es gab Sitzecken in Leder und Plüsch, es gab sehr tiefe, behagliche Sessel, es gab Felle auf dem weiß gefliesten Boden, es gab einen Büffelkopf und einen Bärenkopf an der Wand, sogar die ekelhaft graue Masse eines Nashornkopfes - aber kein Buch.
      »Wo sind Ihre Bücher?« fragte ich.
      »Ich habe keine Zeit für Bücher. Kommen Sie, meine Frau wartet.« Er ging voraus durch eine der vier hohen Fenstertüren, die nach hinten in den Garten führten.
      In einer weiß gelackten Sitzgruppe aus Holz saß eine
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