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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
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nacheinander zu Gemüte zu führen. Im ersten Projekt war vorgesehen, die Verhältnisse zu sanieren, indem man der Atmosphäre tausend Tonnen Inversin beimengte, ein Präparat, das alle Empfindungen um 180 Grad dreht. Die erste Phase beinhaltete das Versprühen dieses Präparats. Fortan sollten Wohlleben, Sattheit, schmackhafte Nahrung und alles Hübsche und Säuberliche allgemeinem Haß anheimfallen, während Gedränge, Armut, Häßlichkeit und Elend aufs höchste begehrt würden. Die zweite Phase brächte den schlagartigen Entzug sämtlicher Maskone und Neomaskone. Nun erst, Auge in Auge mit der ehemals unkenntlichen Wirklichkeit, wäre die Gesellschaft vollauf zufriedengestellt; sie stünde ja am Ziel ihrer Wünsche. Möglicherweise müßten anfangs sogar Pejotrone eingesetzt werden (Lebenslagenverschlechterer). Da aber Inversin ausnahmslos alle Empfindungen angreift, schüfe es auch Abscheu vor erotischen Freuden, und die Menschheit liefe Gefahr, auszusterben. Deshalb sollte die Wirkkraft des Inversins einmal im Jahr für 24 Stunden durch ein Gegenpräparat zeitweilig blockiert werden. Dieser Tag brächte zwangsläufig eine sprunghaft erhöhte Selbstmordquote, doch dies würde im Überfluß wettgemacht durch den gleichzeitig in die Wege geleiteten Bevölkerungszuwachs. Ich kann nicht behaupten, daß mich dieser Plan begeistert hätte. Den einzigen Lichtblick bildete die Feststellung, der Projektspender stünde als Sachsichtiger unweigerlich dauernd unter Antidot-Einfluß. Allgemeine Not und Häßlichkeit wie auch der Schmutz und die Eintönigkeit des Lebens könnten ihn also gewiß nicht allzu heiter stimmen. Der zweite Plan sah vor, in Fluß – und Meerwasser 10 000 Tonnen Retrotemporal aufzulösen. Das ist ein Umwender des subjektiven Zeitablaufs. Das Leben böte sich dann folgendermaßen dar: die Menschen kämen als mürbe Greise zur Welt und verließen diese als Neugeborene. Der Entwurf hob hervor, solcherart werde das Haupthemmnis der menschlichen Seinsweise beseitigt, nämlich die für jeden einzelnen unausweichliche Aussicht auf Alter und Tod. Im Laufe der Zeit würden alle Greise jünger und gewönnen Kraft und Schwung. Nach Beendigung der Berufstätigkeit würden sie kindisch und zögen ins gesegnete Land der Kinderjahre ein. Den Clou des Projektes bildete seine Menschenfreundlichkeit; sie ergab sich auf natürliche Weise aus der Unschuld des Säuglingsalters, das nichts weiß von der Sterblichkeit alles Lebendigen. Da die Umkehrung des Zeitablaufes nur subjektiv ist, müßten in die Kindergärten, Krippen und Gebärkliniken freilich Greise eingewiesen werden. Der Entwurf erklärte nicht deutlich, was nachher mit ihnen geschehen sollte, sondern vermerkte lediglich schematisch, man könnte sie einer geeigneten Behandlung im sogenannten staatlichen Euthanasium zuführen. Nach dieser Lektüre erschien mir das vorige Objekt gar nicht so übel. Das dritte Projekt war langfristig und weit radikaler. Vorgesehen waren Ektogenese, Filialismus und allseitige Homikry. Vom Menschen verbliebe nur das Gehirn in einem eleganten Hartharzgehäuse, ein globusartiges Gebilde, ausgestattet mit Kupplungen, Kontakten und Steckern. Beantragt wurde die Umstellung des Stoffwechsels auf Kernenergie; demgemäß sollte der körperlich unnötig gewordene Nahrungsverzehr ausschließlich in der entsprechend programmierten Einbildung stattfinden. Der Hirnglobus ließe sich an beliebige Gliedmaßen, Geräte, Maschinen, Vehikel und ähnliches anschließen; diese Filialisierung war auf zwei Dekaden verteilt. In der ersten sollte Teilfilialismus in Kraft treten, wobei man entbehrliche Organe zu Hause ließe; z. B. vor dem Theaterbesuch könnte man Begattungs- und Kotentleerungsorgane abschnallen und in den Schrank hängen. Im nächstfolgenden Jahrzehnt schwände durch Homikry das allgemeine Gedränge, das Ergebnis der Überbevölkerung. Kabel und drahtlose Kanäle von Hirn zu Hirn entbänden von jeder Ortsveränderung, von Kurskonferenzen, Dienstfahrten und mit Reisen verbundenen Besprechungen, kurzum, von persönlichem Aufsuchen irgendwelcher Örtlichkeiten, da ja für den gesamten Herrschaftsbereich der Menschheit – bis zu den fernsten Planeten – jedem Lebenden in gleicher Weise die Meßfühler zur Verfügung stünden. Die Massenproduktion würfe auf den Markt Darmmaschinen, Manipuliermaschinen, Pedikuliermaschinen sowie gewöhnliche Schienen, d. h. Gleise einer Art von Heimkleinbahn, wo die bloßen Köpfe zum Vergnügen auf und ab
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