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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
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schließlich meinen Blicken: er mechanisch stur, sie flott und selbstsicher. Viele Roboter schauten den Leuten aus nächster Nähe ins Gebiß, vielleicht, um den Effekt der Sprühbäder zu überprüfen – aber nicht danach sah das aus. An den Ecken standen zahlreiche Druckse und unrobotmäßige Elemente; aus einem Seitentor wälzten sich nach Schichtschluß Arboter, Groboter, Teppster und Mikroboter; auf der Fahrbahn schob sich ein riesiger Komposter vorbei und griff mit der Pflugferse auf, was ihm unterkam; er warf die Kaputer in seinen Müllkasten, und mit ihnen eine Greisin; ich biß mir in die Finger und bedachte nicht, daß sie noch die unangebrochene zweite Ampulle umfaßt hielten; wildes Feuer verbrannte mir die Kehle. Die Umgebung erzitterte; heller Nebel umfing sie, bis mir eine unsichtbare Hand langsam den trübenden Film von den Augen hob. Versteinert starrte ich auf die ablaufende Verwandlung, und in gräßlich würgendem Vorgefühl ahnte ich bereits, daß die Wirklichkeit nun ihre nächste Schicht von sich abschälen sollte; offenbar folgte seit undenklichen Zeiten eine Fälschung auf die andere, so daß ein stärkeres Mittel höchstens mehr an Hüllen abreißen und tiefere erreichen konnte, weiter nichts. Ringsum wurde es heller. Weiß. Schnee lag auf den Gehwegen, vereist, von Hunderten Füßen hartgestampft. Die Farbstimmung der Straße wurde winterlich, zugleich verschwanden die Schaufenster; statt der Glasscheiben sah ich überall verfaulte, über Kreuz vernagelte Bretter. Zwischen den schmutzigen, sickerfleckigen Mauern herrschte Winter; von Lampen und Türstürzen hingen Girlanden glitschiger Eiszapfen; in der schneidenden Luft lag bitterer Qualm, bläulich wie der Himmel in der Höhe; vor den Mauern türmten sich schmutzige Schneehalden; Kehrrichtknäuel ragten heraus; an manchen Stellen lag etwas Schwarzes, etwas wie ein Pack Lumpen, ein großes Bündel; der ununterbrochene Strom der Fußgänger stieß diese Bündel hin und her, schleuderte sie mit Fußtritten zur Seite, in die Winkel, zwischen rostige Behälter, Dosen und eisverhärtetes Sägemehl. Schnee fiel nicht, aber sichtlich hatte es stark geschneit und sollte bald wieder schneien. Plötzlich begriff ich, wer von der Straße verschwunden war: die Roboter. Keiner war da. Kein einziger. Ihre verschneiten Rümpfe lagen vor den Häusern, erstorbene eiserne Wracks, einträchtig vermengt mit menschlichem Abfall, mit Fetzen, woraus gelbliche rauhreifbedeckte Knochen hervorstachen. Ein Zerlumpter setze sich just auf einen Schneehaufen und bettete sich zurecht wie in Daunenzeug; ich sah den zufriedenen Gesichtsausdruck; der Bursche fühlte sich wie zu Hause, allein im eigenen Bett; er streckte die Beine aus, wühlte bloßfüßig im Schnee; dies also war jene kalte Strömung, jene seltsame Frische, die manchmal wie aus weiter Ferne herüberwehte, sogar mitten auf der Straße, am hellichten sonnigen Mittag – der Bursche hatte sich schon zum langen Schlaf niedergelegt – das also steckte dahinter. Das Menschengewimmel zog teilnahmslos vorbei; die Passanten waren mit sich selbst beschäftigt: die einen bestäubten die anderen. Am Verhalten ließ sich rasch erkennen, wer sich für einen Menschen hielt – und wer für einen Roboter. Auch die Roboter waren also nur gespielt? Und woher dieser Winter mitten im Sommer? War der ganze Kalender ein Blendwerk? Wozu aber? Tiefkühlschlaf als Gegenmittel gegen Übervölkerung? Dann war also doch ein sorgsamer Planer am Werk, und ich sollte verschwinden, ohne bis zu ihm gedrungen zu sein? Meine Blicke glitten nun über die krätzigen Wolkenkratzerwände mit den zerschlagenen Fenstern; hinter mir herrschte Stille; der Lunch war zu Ende. Die Straße – das war die äußerste Grenze; meine sehenden Augen hatten keine rettende Kraft; in diesem Gewühl müßte ich untergehen, und ich brauchte doch jemanden – allein konnte ich mich bestenfalls eine Zeitlang versteckt halten, wie eine Ratte. Ich war schon jenseits der Verblendung, demnach in der Einöde. Entsetzt und verzweifelt wich ich vom Fenster zurück; mein ganzer Körper spürte ja leider den Frost, gegen den mich nun kein vorgegaukeltes sonniges Klima abschirmte. Ich begriff selber nicht, wohin ich ging, möglichst lautlos den Boden berührend. Ja: ich verbarg bereits die eigene Anwesenheit. Dieses Buckeln und Ducken, die raschen Seitenblicke, das Innehalten und Horchen, dies alles gab mir der Instinkt ein, noch ehe ich irgendeinen Entschluß gefaßt
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