Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Kompliment!«
    »Ihre Sticheleien sparen Sie sich gefälligst für einen besseren Anlaß« – knurrte er. Ich hatte es fertiggebracht, ihn zu verletzen. Er war erbost. »Sie haben immerzu nach dem Urquell des Dämonischen gesucht, Sie Tautröpfchen, Sie Friergemüse aus dem vorigen Jahrhundert! Den gibt es aber nicht. Ich stille Ihre Neugier. Der existiert nicht, verstehen Sie? Wir narkotisieren die Zivilisation, denn sonst ertrüge sie sich selbst nicht. Deshalb darf sie nicht geweckt werden. Und auch Sie, mein Herr, werden deshalb zu ihr zurückkehren. Ihnen droht keine Gefahr: das ist ja nicht bloß schmerzlos, sondern auch wohltuend. Wir haben es wesentlich schwerer, denn eurem Wohl zuliebe müssen wir Nüchternheit bewahren.«
    »Also Sie tun das aus purer Selbstentäußerung?« – versetzte ich. »Sehr wohl, ich verstehe, gewiß ein Opfer für die Sache der Allgemeinheit.«
    »Wenn Sie auf die furchtbare Freiheit des Denkens Wert legen« – entgegnete er frostig – »dann rate ich Ihnen: spotten Sie nicht, verkneifen Sie sich die dummen Sticheleien, womit Sie sich höchstens früher um diese Freiheit bringen.«
    »Sie haben mir also noch etwas zu sagen? Ich höre.«
    »In diesem Augenblick bin ich außer Ihnen der einzige sehende Mensch im ganzen Staat … Was trage ich im Gesicht?« – fügte er rasch hinzu, wie um mich festzunageln. »Eine dunkle Brille.«
    »Demnach sehen Sie dasselbe wie ich« – sagte er. »Der Chemiker, der die Mittel an Trottelreiner weitergegeben hat, ist schon in den Schoß der Allgemeinheit heimgekehrt und hegt keinerlei Zweifel. Niemand darf welche haben. Begreifen Sie das nicht?«
    »Moment mal« – sagte ich. »Mir scheint, Sie legen wirklich Wert darauf, mich zu überzeugen. Warum eigentlich?«
    »Weil kein Sachsichtiger ein Dämon ist« – entgegnete er. »Angesichts der Sachlage sind wir machtlos. In die Enge getrieben. Wir müssen mit den Karten spielen, die uns das gemeinschaftliche Schicksal in die Hände gedrückt hat. Wir spenden Ruhe, Heiterkeit und Erleichterung – auf die einzige noch verbliebene Art. Wir halten in Schwebe, was ohne uns in allumfassende Agonie versinken müßte. Wir sind die letzte Stütze dieser Welt. Ihr Atlant. Da sie nun einmal zugrunde gehen muß, bleibt dafür zu sorgen, daß sie nicht leidet. Läßt sich die Wahrheit nicht ändern, so muß sie verhüllt werden. Das ist die letzte Wohltätigkeit, die letzte noch menschliche Pflicht.«
    »Also läßt sich ganz gewiß nichts mehr ändern?«
    »Wir schreiben das Jahr 2098« – sagte er. »69 Milliarden amtlich bescheinigter Menschen und sicherlich rund 26 Milliarden Illegale. Die mittlere Jahrestemperatur ist um vier Grad gesunken. In fünfzehn, zwanzig Jahren wird hier ein Gletscher sein. Wir können der Vereisung nicht vorbeugen, wir können sie nicht hindern, wir können sie nur verbergen.«
    »Ich war immer der Ansicht, in der Hölle müsse Frost herrschen« – sagte ich. »Ihr bemalt also ihre Tür mit hübschen Ornamenten?«
    »Genau« – antwortete er. »Wir leisten den letzten Samariterdienst. Jemand mußte von diesem Platz aus zu Ihnen sprechen. Dieser Mensch bin zufällig ich.«
    »Ich entsinne mich: Ecce homo!« – sagte ich. »Aber … Moment mal … Ich begreife, worauf Sie hinaus wollen. Sie wollen mich Ihr Amt schätzen lehren, das eines endzeitlichen Narkotiseurs. Wenn kein Brot mehr da ist – Narkose für die Leidenden! Nur weiß ich nicht, wozu meine Bekehrung gut sein soll, wenn ich sie ohnehin gleich wieder zu vergessen habe. Sagen Sie, warum plagen Sie sich mit Vernunftgründen ab, wenn die bereitgehaltenen Mittel gut sind? Sind sie gut – na dann schnell ein paar Tropfen Glaubsalzlösung, einen Spritzer in die Augen – und ich werde jedes Wort begeistert akzeptieren, Sie selbst aber werde ich achten und verehren. Sichtlich glauben Sie nicht recht an den Wert einer solchen Kur, warum fänden Sie sonst soviel Spaß an gewöhnlichem altmodischem Geschwätz und Wortgedresch? Wie kommt es, daß Ihnen ein Gespräch mehr zusagt als der Griff nach dem Zerstäuber? Offenbar wissen Sie ganz genau, daß Ihr psychemischer Sieg ein ordinärer Betrug ist und daß Sie dann auf dem Platz allein zurückbleiben, ein Triumphator mit Sodbrennen! Sie wollen mich zuerst überzeugen und dann ins Vergessen hinabstoßen, aber das wird Ihnen nicht gelingen! Verrecken sollen Sie an Ihrer edlen Sendung, mitsamt diesen Nutten auf den Fotos, womit Sie sich das Erlösungswerk versüßen! Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher