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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
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Präparaten schädigt die Organismen. Den Leuten fällt das Haar aus; Ohren verhornen; Rattenschwänze schwinden …«
    »Wachsen, wollten Sie wohl sagen.«
    »Nein. Schwinden. Schon seit dreißig Jahren haben alle Menschen Rattenschwänze. Das war die Folge des Ortographins. Für die blitzartige Erlernbarkeit des Schreibens mußte dieser Preis bezahlt werden.«
    »Unmöglich, Professor! Ich bin oft am Strand. Niemand hat einen Rattenschwanz!«
    »Sie kindliches Gemüt! Rattenschwänze werden mit Antirattocaudol maskiert, das hinwiederum Zahnverfall und Nägelschwärzung verursacht.«
    »Die ihrerseits maskiert werden?«
    »Natürlich. Schon Milligramme eines Maskons sind wirksam, aber insgesamt nimmt jeder Mensch pro Jahr rund hundertneunzig Kilogramm zu sich. Leicht einzusehen, wenn man bedenkt, daß Wohnanlagen vorgetäuscht werden müssen, Getränke, Speisen, die Artigkeit der Kinder, die Höflichkeit der Beamten, wissenschaftliche Entdeckungen, der Besitz von Rembrandts und Klappmessern, Raumflüge, Überseereisen und eine Million von sonstigen Dingen. Gäbe es kein Arztgeheimnis, so wüßten alle Bescheid: jeder zweite Einwohner von New York ist scheckig, hat auf dem Rücken grünlichen Borstenwuchs und an den Ohren Stacheln; ferner infolge des ständigen Galoppierens Plattfüße und ein Lungenemphysem nebst Herzerweiterung. Dies alles muß verborgen werden. Und just zu diesem Zweck dienen die Neosupermaskone.«
    »Ein Alptraum! Und es gibt keinerlei Abhilfe?«
    »Unser Kongreß soll eben die zukundlichen Alternativen erörtern. In Fachkreisen spricht man allgemein von der Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung. Derzeit verfügen wir über achtzehn Projekte.«
    »Der Erlösung?«
    »Auch so läßt sich das nennen. Vielleicht nehmen Sie Platz und lutschen die Materialen durch? Aber ich hätte auch eine Bitte an Sie. In einer heiklen Sache.«
    »Für Sie tue ich, was Sie wünschen.«
    »Gut. Ich zähle darauf. Sehen Sie, von einem Kollegen, einem Chemiker, habe ich Proben zweier neu synthetisierter Stoffe bekommen, beide aus der Gruppe der Wachpulver oder Ausnüchterer. Er hat sie mir mit der Morgenpost geschickt. Er schreibt mir«, – Trottelreiner nahm einen Brief vom Arbeitstisch – »mein Präparat sei kein echtes Wachpulver. Dasselbe, das auch Sie versucht haben, Tichy. Er schreibt wörtlich: ›Um von vielen Krisenerscheinungen das Augenmerk der Sachsichtigen abzulenken, liefert ihnen vorsätzlich und böswillig die Bundespsyf (d. h. die Bundesstelle für Psycho-Formierung) falsche Halluzinationslöscher, versetzt mit Neomaskonen.‹«
    »Da komme ich nicht mit. Die Wirkung Ihres Präparats habe ich doch an mir selbst erfahren. Und was sind Sachsichtige?«
    »Träger einer hohen gesellschaftlichen Funktion, zu denen auch ich gehöre. Sachsichtigkeit umfaßt das Recht und die Möglichkeit, von Wachpulvern Gebrauch zu machen – zwecks Einsicht in den wahren Sachverhalt. Irgend jemand hat ihn zu kennen. Das liegt doch wohl auf der Hand?«
    »Allerdings.«
    »Nun zu diesem Mittel: mein Freund nimmt an, es hebe zwar die Wirkung älterer, längst eingeführter Maskone auf, doch beseitige es nicht alle, und schon gar nicht die neuesten. Dies hier«, – der Professor hob das Fläschchen hoch – »das wäre also kein Ausnüchterer, sondern ein tückisch entworfenes und als Ausnüchterer getarntes Maskon, das heißt, ein Wolf im Schafspelz!«
    »Wozu aber? Wenn doch notwendig ist, daß jemand weiß …«
    »Notwendig in allgemeinem Sinne, wenn man das Gemeinwohl als Ganzes ins Auge faßt, nicht jedoch unter dem Blickwinkel der Einzelinteressen diverser Politiker, Körperschaften und sogar Bundesorgane. Wenn es schlechter steht, als es für uns Sachsichtige aussieht, dann möchten die gern, daß wir keinerlei Alarm schlagen. Deshalb haben sie dieses Mittel zurechtgemacht, so wie einstmals leicht auffindbare Geheimfächer in alten Möbeln angebracht wurden. Der Suchende sollte sich mit dem ersten Fund zufriedengeben und nicht weiter nach den echten Verstecken stöbern, die weit geschickter getarnt waren.«
    »Ja. Jetzt verstehe ich. Was kann ich für Sie tun?«
    »An dieser Ampulle schnuppern, während Sie die Materialien studieren. Und dann noch an dieser zweiten. Ich habe ehrlich gesagt nicht den Mut.«
    »Weiter nichts? Mit dem größten Vergnügen.« Ich übernahm vom Professor beide Glasröhrchen, setzte mich in den Lehnstuhl und begann mir die Zusammenfassungen der eingesandten zukundlichen Arbeiten
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