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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin
Autoren: Eduardo Mendoza
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Begeisterung die faszinierenden Geschichten erzählt hat, in denen Sie die Hauptrolle gespielt haben und an die er sich bis in alle Einzelheiten erinnert hat. So habe ich Sie kennengelernt, ohne Sie je gesehen zu haben, und in meiner Phantasie habe ich Sie mir wie Batman oder den Unglaublichen Hulk vorgestellt. Ich erinnere mich lebhaft an einige außerordentliche Fälle wie den der verhexten Krypta oder das Olivenlabyrinth. Und ich war ganz mitgenommen, als ich hörte, wie Sie den Mord im Zentralkomitee gelöst haben.»
    «Ja, da habe ich mich glänzend geschlagen. Du sagst, Romulus hat dir vor dem Einschlafen Geschichten erzählt?»
    «Ja. Er war wie ein Vater für mich. Den eigenen habe ich nie kennengelernt, wissen Sie.»
    «Nun mal der Reihe nach. Wer bist du?»
    «Stimmt, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Das ist die Nervosität. Ich suche Sie seit Tagen. Es war nicht so einfach, Sie zu finden. Ich wusste ja nicht einmal, dass Sie in einem Damensalon arbeiten. Gehört er Ihnen?»
    «Ich habe einen Partner. Er glänzt durch Abwesenheit. Wie heißt du?»
    «Alle nennen mich Quesito.»
    «Das ist ja lächerlich. Wie ist dein richtiger Name?»
    «Marigladys.»
    «Na ja, Quesito ist vielleicht doch nicht so schlecht. Weiter.»
    Dreizehn Jahre zuvor hatte Quesitos Mutter, wie mir das Mädchen erzählte, eine Liebelei mit einem verantwortungslosen Typen gehabt, der spurlos verschwand, nachdem er sie mit Quesito geschwängert hatte. Da sie keine Familie und keine Rücklagen und kaum eine Ausbildung oder besondere Fähigkeiten hatte, überlebten die beiden mit dem kümmerlichen Ertrag der Gelegenheitsarbeiten von Quesitos Mutter. Bei ihrem letzten Job – als Angestellte bei einer Firma für Gebäudereinigung – hatte sie Romulus den Schönen kennenlernen dürfen, damals Pförtner des Hauses, dessen Reinigung Quesitos Mutter oblag. Trotz des Standesunterschieds zwischen einem uniformierten Pförtner und einer einfachen Reinemachefrau entstand zwischen den beiden eine schöne Kameradschaft. Romulus war mit einer blendend aussehenden Frau verheiratet, die jedoch seine Sehnsüchte nicht zu befriedigen vermochte. Sie wiederum, Quesitos Mutter, berichtete ihm von ihren materiellen Schwierigkeiten, und Romulus der Schöne, gerührt und solidarisch, unterstützte sie im Rahmen seiner Möglichkeiten, sei es beim Metallpolieren, beim Auswechseln geschmolzener Glühbirnen, beim Verfrachten des Mülls in die vorgesehenen Container und anderen mit der Würde eines Pförtners zu vereinbarenden Arbeiten, sei es mit gelegentlichen Barzuwendungen. Seine einzige Entschädigung für all das war die Befriedigung, Gutes getan und einer alleinerziehenden Mutter in Nöten unter die Arme gegriffen zu haben. Da er damals aufgrund seiner Position und seines Einkommens ein Auto hatte, brachte er Quesitos Mutter an manchen Abenden nach Hause, nicht ohne vorher die Kleine am Eingang ihrer Schule abzuholen. So entstand zwischen Quesito und Romulus eine zärtliche Zuneigung, die bis in die Gegenwart andauerte. Als er arbeitslos wurde, besuchte er Mutter und Tochter weiterhin und nahm trotz seiner schwierigen materiellen Lage nie die Hilfe an, die ihm Quesitos Mutter immer wieder anbot. Ganz im Gegenteil, stets brachte er bei seinen Besuchen kleine, feine Geschenke mit, Frauenzeitschriften, Näschereien, Obst und Nippes, zweifellos aus irgendeinem halbseidenen chinesischen Warenhaus.
    Am Ende dieser Erzählung waren Quesitos Augen feucht, und ich kämpfte vergeblich gegen die Benommenheit an.
    «Aber all das hat sich unerwartet und ganz plötzlich geändert», sagte ich, um das Gespräch wieder auf seine Ursprünge zurückzuführen.
    Die paar Tränen in Quesitos Augen wurden zu heftigem Schluchzen. Ich wartete eine Weile, reichte ihr dann einige Blatt Toilettenpapier zum Schnäuzen und hielt sie an fortzufahren, indem ich mit geheucheltem Desinteresse fragte:
    «Was ist denn mit Romulus dem Schönen?»
    «Ich weiß es nicht», antwortete sie, «aber ich befürchte das Schlimmste. Vor einigen Tagen habe ich im Briefkasten einen an mich adressierten Brief von ihm gefunden. Zuerst dachte ich, er schickt mir etwas: ein Foto, einen Zeitungsausschnitt, vielleicht Eintrittskarten für ein Musical. Nie zuvor hatte er sich mit mir auf diese altmodische Art in Verbindung gesetzt. Aber als ich den Umschlag aufmachte …» Sie nestelte in einem umgehängten Täschchen, zog ein Kuvert hervor und zeigte es mir. «Da, lesen Sie selbst.»
    Im Umschlag steckte
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