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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin
Autoren: Eduardo Mendoza
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solltest es genauso halten. Ich werde dir einen Rat geben, Quesito. Zwar steht mir das nicht zu, und wir haben uns eben erst kennengelernt, aber du hast keinen Vater, und jemand muss dir diesen Rat geben. Lerne, sei fleißig und gehorsam, bring dich nicht in Schwierigkeiten, geh zur Universität, sieh zu, dass du gute Noten bekommst, und kümmere dich nicht um die anderen. Und schon gar nicht um die Erwachsenen. Deine Mutter schrubbt Fußböden wegen einer Anwandlung von Geilheit, Romulus der Schöne ist ein Verbrecher, und mich braucht man nur anzuschauen. Nimm uns als Beispiele für das, was man nicht tun soll. Und wenn wir böse enden, geht dich das nichts an. Wir haben es selber so gewollt, verstanden? Und was den Brief betrifft, so bring ihn zur Polizei. Sie werden dir zwar keine Aufmerksamkeit schenken, aber wenn später etwas passiert, hast du wenigstens deine Pflicht getan. Und wenn du mir jetzt nichts mehr zu sagen hast, geh ich essen.»
    Sie schaute mich unverwandt an, und einen Augenblick dachte ich, sie fange sogleich an zu weinen, aber im letzten Moment beherrschte sie sich und ging zur Tür. Dort drehte sie sich um.
    «Wenn ich Romulus von Ihnen sprechen hörte, dachte ich, Sie wären altruistischer», murmelte sie.
    «Man wird müde.»
    Sie ging hinaus. Nach einige Sekunden kam sie wieder herein.
    «Ist hier in der Gegend irgendwas offen?», fragte sie. «Ich sterbe vor Hunger und möchte mir ein Magnum kaufen.»
    «Rechter Hand gibt’s ein Lokal. Aber du solltest etwas Gesünderes und Nahrhafteres essen.»
    «Das sagt meine Mutter auch. Romulus dagegen hat meinen Launen immer nachgegeben. Hören Sie, falls Sie es sich anders überlegen, gebe ich Ihnen meine Handynummer. Oder geben Sie mir Ihre, und ich rufe Sie an.»
    «Tut mir leid, ich benutze immer noch die Telefonzellen.»
    Sie ließ sich nicht entmutigen und zog einen Kugelschreiber und ein Notizbuch aus der Tasche, riss eine Seite heraus, schrieb eine Nummer darauf, legte den Zettel auf die Konsole und verließ den Salon, ohne sich zu verabschieden oder zurückzuschauen.
    Nach einigen Sekunden trat ich auf die Straße hinaus und folgte ihr mit dem Blick. Es war bloß eine Vorsichtsmaßnahme, aber als ich sie so davongehen sah, langsam wegen der Hitze und ohne Anmut wegen ihres Alters und ihrer Konstitution, trieb mich ein unbestimmtes Gefühl von Mitleid fast dazu, ihr nachzurufen. Es war nicht besonders schwer, der Versuchung zu widerstehen, und als sie das Lokal betrat, das ich ihr empfohlen hatte, beschloss ich, den Zwischenfall ad acta zu legen. Bevor ich in den Salon zurückging, sah ich, dass auf dem gegenüberliegenden Gehsteig, einige Meter weiter links, der Eigentümer, Geschäftsführer oder Vorsteher des chinesischen Warenhauses in die Ladentür getreten war und sich mit einem Palmwedel Luft zufächelte. Wir kannten uns nur vom Sehen, doch da im Augenblick niemand sonst auf der Straße war, fühlte er sich verpflichtet, mich zu grüßen und ein Lächeln anzudeuten, das besagte: Was für eine Hitze, nicht wahr? Er war ein mittelgroßer Mann, schlank, um die dreißig. Dem Klatsch da und dort hatte ich entnommen, dass er Bling Fuma oder so ähnlich hieß und eine Frau und einen Sohn hatte. Das Warenhaus hatte eine schmale Glastür und ein winziges Schaufenster vollgestellt mit Gegenständen unterschiedlicher Größe, Materialien und Farben, die sich in puncto Hässlichkeit, Nutzlosigkeit und Billigkeit gegenseitig den Rang abliefen. Über der Tür und dem Schaufenster stand auf einem großen Schild:
    WARENHAUS LA BAMBA
    ALLES FÜR DEN HAUSHALT – BÜROARTIKEL
    SCHULMATERIAL
    FRAUENMODEN
    ALLES ZUM MITNEHMEN UND NOCH MEHR
    KOMM SCHON, NICHTS WIE LOS!
    Ich antwortete auf den stummen Kommentar meines Nachbarn mit einer zustimmenden Geste und hob die Brauen zum Zeichen der Resignation angesichts des Klimas. In Wirklichkeit erkundete ich das Firmament, ob ein Blitz niederzuckte, um ihn zu zerschmettern und sein Warenhaus in Schutt und Asche zu legen, doch die Wolken waren sich anderswo entladen gegangen, so dass wir weiterhin der hochsommerlichen Hitze ausgesetzt waren. Gereizt durch diese unheilvolle Begegnung, trat ich in den Salon, zog mich aus, legte mich auf den Fußboden und schlief in Erwartung möglicher Kundschaft tief ein.

4
DIE WACHE
    Ich erwachte durstig, unruhig und verschwitzt. Es war nur wenig Zeit vergangen. Ich ging auf die Straße hinaus, falls die Hitze etwas nachgelassen hatte, doch nichts hatte sich verändert. Auf dem
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