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027 - Ruf des Blutes

027 - Ruf des Blutes

Titel: 027 - Ruf des Blutes
Autoren: Timothy Stahl
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Es sah aus, als sei ein noch viel größeres Ungeheuer mit Klauen und Zähnen voller Wut und Mordlust darüber hergefallen. Und die kindliche Phantasie Rhians und Quinlans, erblüht in Jahren der Abgeschiedenheit dieser Einöde, genügte vollauf, um sich einen solchen Kampf der Titanen lebhaft vorzustellen.
    Näher und immer näher kam das Ungetüm, rumpelte schließlich über die Bohlenbrücke, die sich über den Wassergraben spannte, und rollte in das Geviert zwischen den Flachbauten.
    Die Phantome aus Sand und Staub zerstoben, als seien sie nun, da ihre Aufgabe erfüllt war, von ihrem gespenstischen Dasein erlöst.
    Allenfalls fünfzehn oder zwanzig Schritte von Rhian und ihrem nur Minuten jüngeren Bruder entfernt kam das Unding endlich zum Stehen, mit einem monströsen Seufzen, als hauche es jetzt und an dieser Stelle sein unheimliches Leben aus.
    Und mit einem letzten Ächzen und Grollen erstarb auch etwas in dem Ding, dessen Kraft jetzt nur noch reichte für ein letztes Schütteln. Metallenes Klappern wurde laut und verklang. Rost löste sich und rieselte mit vernehmlichem Rascheln zu Boden.
    Dann stand das Ungetüm vollends still. Wirklich wie tot. Nur die Geräusche des nahenden Unwetters waren noch zu hören.
    Auf die kurze Distanz verflog der Eindruck eines tatsächlichen Tieres. Von seiner Unheimlichkeit indes büßte das fremdartige Ding auch von Nahem besehen nichts ein.
    Dennoch bestand weder für Rhian noch Quinlan ein Zweifel daran, worum es sich dabei wirklich handelte »Ein… Gefährt!«, sagte das Mädchen verwundert. Auch wenn weder sie noch ihr Bruder je eines dieser Art gesehen hatte. Dann…
    »Es fährt von selbst!«, staunte Quinlan.
    Sie kannten Kutschen und Karren und auch Fahrzeuge, die mit einem Wort nicht zu beschreiben waren. Aber alles, was sie bislang gesehen hatten, war von Tieren gezogen worden. Dieses Gefährt hier verfügte zwar über Räder, bewegte sich aber ohne erkennbaren Antrieb.
    Was von fern noch wie rissige rostrote Haut ausgesehen hatte, erwies sich jetzt als metallene Verkleidung, gefertigt aus rostigen Platten verschiedener Größen, die einander wie die Schuppen einer Schlangenhaut überlappten. Dazwischen schimmerten vereinzelt Stellen von schmutzigem Gelb. Und was Rhian und Quinlan vorhin noch für eine spitz zulaufende Schnauze gehalten hatten, war in Wirklichkeit etwas wie ein Rammsporn oder eher noch ein Pflug, wohl dafür gedacht, Hindernisse, Sandverwehungen und dergleichen aus dem Weg zu räumen.
    Der Höhe nach überragte das Gefährt die Zwillingsgeschwister um das drei- oder vierfache ihrer eigenen Körpergröße, und von vorne bis hinten maß es gut und gerne dreißig Schritte.
    Am Augenfälligsten aber war das Viereck über der Pflugschar, das über die ganze Breite des Gefährts ging und in dem sich der bleierne Himmel spiegelte. Die Bewegung darauf konnte vom Wolkenspiel herrühren - doch ebenso gut mochte es sein, dass sich dahinter etwas rührte.
    Und darüber, flankiert von roten Kreisen wie stieren Augen…
    »Uul… ass…« Rhian las die Buchstabenfolge dort oben halblaut nach.
    Diese beiden Worte standen da in schwarzen, kaum noch entzifferbaren Lettern, deren Anordnung vermuten ließ, dass irgendwann ein paar weitere dazu gehört hatten, die Wind, Wetter und Zeit längst fortgewischt hatten. Einen Sinn ergaben diese fünf Buchstaben jedenfalls nicht, das immerhin wagte Rhian zu beurteilen, auch wenn es mit ihren Lesekünsten nicht allzu weit her war. Zumindest reichten sie noch lange nicht an die ihrer Mutter heran, die sich aufs Lesen verstand und die beiden Kinder daran teilhaben ließ, wann immer sich die Möglichkeit ergab. Dann holte Mutter ihr Buk hervor, die Bybell, wie sie es nannte, das sie einst von ihrer Mutter und die wiederum von der ihren bekommen hatte. Und sie alle hatten ihren Töchtern daraus das Lesen gelehrt.
    Die Männer jedoch, die Väter und Söhne der Familie also, hatten stets wenig davon gehalten. Zeitverschwendung sei dieses Lesen, pflegten sie zu sagen, und zu nichts nütze. Von Nutzen war nur, was man mit seinen Händen tun konnte: Jagen und ein Feld bestellen, ein Haus bauen und seine Familie beschützen.
    Quinlan und Vater machten darin keine Ausnahme. Zwar lauschte Quinlan gelegentlich den Geschichten, aber Interesse die eigene Nase in dieses Buk zu stecken hatte er nie gezeigt.
    Ganz anders Rhian. Mochte sie ihrem Zwillingsbruder auch in vielerlei Hinsicht ähnlich sein, in diesem Punkt unterschieden sie sich
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