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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin
Autoren: Eduardo Mendoza
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Krankenschwester erfuhr ich auch, dass Mahnelik das Klinikum bald wieder verlassen hatte und mit dem Argument, eines seiner Beine sei auf der Innenseite nun kürzer als das andere, einen Antrag auf dauernde Arbeitsunfähigkeit für einen Job eingereicht hatte, den man ihm bereits gekündigt hatte. Ich bezweifle, dass seinem Ersuchen stattgegeben wurde, denn er hatte nie etwas in die Sozialversicherung eingezahlt, aber ob er nun seine Rente bekam oder nicht, um die Zukunft des jungen Mannes mache ich mir keine Sorgen – solange er kein Motorrad besteigt, hat er mehr als genug Fähigkeiten zum Überleben. Der Juli hatte wie immer weniger Glück: Er wurde auf freien Fuß gesetzt, und obwohl er nicht des Landes verwiesen wurde, erhielt er keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, und zu allem Elend hatte während seiner Abwesenheit eine andere lebende Statue seinen Platz eingenommen und mit größerem Publikumserfolg. Wo er sich jetzt herumtreibt, weiß ich nicht. Der Dandy Morgan hingegen ist immer noch Protokollchef der Stadt und soll zur rechten Hand des Bürgermeisters aufgestiegen sein, der doch das Steuer um keinen Preis loslässt und darauf baut, ad nauseam wiedergewählt zu werden, nicht weil er ein guter Bürgermeister oder Manager wäre, sondern weil er die Wähler mit einer so mitreißenden Beredsamkeit eingeseift hatte, dass ihn die Lokalpresse den «neuen Alkibiades» nannte. Die Moski spielte am Meer und in der Stadt wieder in Restaurants, Imbissbuden und Tapaslokalen Akkordeon, bis sie es eines Tages satt hatte, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag und die Losung der Partei zu warten, um auf die Straße zu gehen; sie packte das Akkordeon ein und setzte sich nach Nordkorea ab. Dort erging es ihr übel, denn kurz vor ihrem Eintreffen hatte Präsident Kim Jong-un eine CD mit Boleros veröffentlicht, und weil er die Konkurrenz scheute, ließ er sie lebenslänglich hinter Gitter bringen. Das Restaurant Hund zu verkaufen ist nach wie vor geöffnet, hat denselben Wirt und denselben Gästezustrom, trägt aber einen neuen Namen, wie auf einem Schild mit gotischen Lettern zu lesen ist:
    BIERSTUBE DR. SCHWUCHTEL
    WÜRSTE, HERINGE, SAUERKRAUT
    UND ANDERE BARBARISCHE SPEZIALITÄTEN
    Unser Restaurant läuft im Gegensatz dazu prächtig, seit es unter dem Namen Die goldene Miesmuschel eröffnet wurde. Ich persönlich finde den Namen etwas dümmlich, und auch die eher nüchterne Innenausstattung sagt mir nicht zu, aber ich habe diese Meinung nie geäußert, weil mich niemand darum gebeten hat, denn das Adjektiv «unser», das diesen Absatz einleitet, hat eine rein orientierende, aber keine juristische Bedeutung. Am Anfang kochte Señora Lin sowohl mittags wie abends, und da man für einen vernünftigen Preis sehr gut aß, hatte das Lokal bald viele Gäste, die es auch dann noch füllten, als Señora Lin wieder in den Laden zurückging und man Fertiggerichte zu servieren begann, die einmal im Monat von einem Lastwagen mit Anhänger und rumänischem Nummernschild herangekarrt wurden. Die einstige Küche wurde zum Kühlraum, und draußen, wo sich die Toiletten befunden hatten, wurde eine Mikrowelle hingestellt, die im Dauerbetrieb lief. Diese Veränderung kam mir zustatten. Obwohl man mir einmal zugesagt hatte, mich als Kellner in dunklem Anzug und mit Fliege zu beschäftigen, wurde ich in der Praxis unter dem Vorwand, ich müsse doch das Geschäft bis in alle Winkel kennen, als Kuli gekleidet und zum Spülen von Töpfen, Tiegeln und Woks abkommandiert. Jetzt, da nicht mehr gekocht wird, wische ich Staub, reinige die Fensterscheiben, betätige den Wischmopp, lade Kästen aus und staple sie an ihrem Platz auf.
    Wie zu erwarten gewesen war, habe ich weder Romulus den Schönen noch seine Frau wiedergesehen. Sie unternahmen nichts, um sich mit mir in Verbindung zu setzen, und ich hielt es nicht für angezeigt, unangemeldet bei ihnen aufzukreuzen. Hingegen wusste ich sehr genau über ihr Leben und Befinden Bescheid, nachdem ich eines Tages, bereits im Herbst, im Restaurant unerwartet Besuch von Swami Pandit Shvimimshaumbad bekommen hatte. Nach dem unvermeidlichen Austausch von Höflichkeiten, wie er jede Begegnung zwischen Gentlemen begleitet, fragte ich ihn, ob er komme, um Geld zu leihen oder so, und er antwortete mit seiner üblichen, an Idiotie grenzenden Sanftmut, nein, er sei bloß gekommen, um mich zu sehen und sich nach meinem Wohlbefinden und meiner Situation zu erkundigen, und auch, wie er etwas schüchtern beifügte, weil er
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