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Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin
Autoren: Eduardo Mendoza
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nichts anderes getan als Fußböden geschrubbt, seit du gegangen bist. So ist das nun mal. Komm jetzt nicht, um Rechenschaft von uns zu verlangen.»
    Ich musste zugeben, dass sie ein wenig recht hatte. Ich stand auf und ging zur Tür. In der Diele blieb ich stehen und kehrte wieder um. Emilia saß noch immer da, starr den nicht laufenden Fernseher im Visier.
    «Willst du mich nun einfach im Ungewissen lassen?», fragte ich.
    «Ja.» Sie wandte den Blick nicht von der Mattscheibe ab. «Das ist meine kleine Rache, und du wüsstest auch gar nicht, was du mit der Wahrheit anfangen solltest.» Ich stand schon auf dem Treppenabsatz, als sie in etwas freundschaftlicherem Ton hinzufügte: «Die Zeit ist grausam, aber auch heilsam. Wenn das Schuljahr beginnt und Quesito im Unterricht ist, dann komm mich mal besuchen, falls du Lust hast. Schließlich hatten wir’s damals gar nicht so übel.»
    Auf der Straße hielt ich nach einem Gully Ausschau und warf, nachdem ich mich versichert hatte, dass ich unbeobachtet war, die Pistole hinunter, die ich aus der Jacketttasche von Romulus dem Schönen entwendet hatte, als er plötzlich aufgetaucht und ich zu ihm geeilt war, um ihn willkommen zu heißen. Ich hatte sie für alle Fälle die ganze Zeit in greifbarer Nähe gehabt, aber jetzt brauchte ich sie nicht mehr, und es war besser, sie verschwinden zu lassen, so dass außer mir niemand von ihrer Existenz wusste. Nicht, dass sie mir noch aus der Tasche fiel, wenn ich im Bus nach der ehrwürdigen Seniorenkarte nestelte.
    Als ich den Salon betrat, fand ich darin zwei Männer in Anzug und Krawatte, die mit einem Theodoliten und einem Zeichendreieck Maß nahmen. Bei meinem Anblick sagten sie höflich, aber kategorisch, ohne Helm gebe es keinen Zutritt zur Baustelle, und solange sie da seien, auch nicht mit Helm. Das Lokal war ausgeräumt; auf dem Bürgersteig stand ein Metallcontainer, in dem sich der Friseurstuhl, der Spiegel, das Becken und die Armaturen, der Kittel, die Schere, der Kamm, das Shampoo, die Lotion und die übrigen Utensilien in unterschiedlich verrostetem, verschimmeltem und zersetztem Zustand stapelten, und auf dem Randstein machten sich Insekten, Würmer, Nagetiere und Bazillen auf den bitteren Weg ins Exil. Ich ging wieder hinein und fragte, ob sie bei der Entrümpelung einen Zehn-Euro-Schein gefunden hätten, den ich am Vorabend im Salon zurückgelassen hatte. Als hätten sie keine Zeit mit unwichtigen Diskussionen zu verlieren, zog einer der Vermesser einen Fünf-Euro-Schein aus der Hosentasche und reichte ihn mir, ohne die Augen von seinem Arbeitsgerät abzuwenden.
    Auf dem Heimweg trat ich in eine Cafeteria mit Klimaanlage und bestellte einen Hamburger und eine koffeinfreie Pepsi light. Man fragte mich, ob ich auch Gazpacho, Salat und den Nachtisch des Tages wolle, und als ich das Angebot höflich ablehnte, wurde die Klimaanlage ausgeschaltet.
    ***
    Die typisch sommerliche Mattigkeit, die Unerbittlichkeit des Klimas und ganz allgemein das Gefühl, die Weihnachtsferien stünden unmittelbar vor der Tür – all das verhindert, dass in Barcelona zwischen Ostern und Mitte Februar irgendetwas beginnen, weitergehen oder an ein Ende kommen kann. Bei meinem dahingeschiedenen Friseursalon war das freilich nicht der Fall. Das Umbauprojekt musste schon fertig und abgesegnet gewesen sein, während ich noch Frau Merkel schöntat, denn nach dem flüchtigen Auftritt der technischen Equipe erschien eine Brigade von zwanzig oder dreißig von Señor Lin angeheuerten Arbeitern, die von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends wie die Ameisen schuftete, und dann kam nach einer kurzen Pause eine weitere Brigade und arbeitete mit demselben Eifer bis um acht Uhr früh des folgenden Morgens, und so weiter in dauerndem Schichtwechsel. Da mich anfänglich die Nostalgie Tag für Tag im Lokal herumhängen ließ, entdeckte ich schließlich, dass die Arbeiter der ersten und die der zweiten Schicht ein und dieselben waren. Bei solchem Einsatz war das Werk in Rekordzeit beendet, und Anfang September wurde das Restaurant fürs Publikum geöffnet, um die Rückkehr der Barcelonesen in ihr Heim, an ihre Arbeit und zu ihrer üblichen Verrohung zu nutzen.
    In dieser Zeit der Zwangsmuße besuchte ich täglich meine Schwester im Krankenhaus. Eher an Prügel als an Verhätschelung gewohnt, erholte sich Cándida rasch, obwohl es keinen langen Weg zurückzulegen galt, um wieder in den Zustand zu kommen, in dem sie sich vor dem Attentat befunden hatte. Von einer
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