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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht
Autoren: Nigel McCrery
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verstehen geben, dass er auf dem Laufenden war. Mistkerl. Er wälzte sich auf den Rücken, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte ein paar Sekunden lang zur Decke hinauf. Sophie Clarke. Um den Fall würden sich sämtliche großen Tiere reißen. In den nächsten Wochen würde es eine Menge Arschkriecherei geben. Er grinste. Der größte Arschkriecher von allen würde Dick Meadows sein. Das war es schließlich, was er am besten konnte. Er konnte also ruhig hingehen und sich so respektlos benehmen wie immer. Mal sehen, wie viele ranghöhere Beamte er aus der Fassung bringen konnte, bevor er wieder ging. Er schaute hinüber zu Kate, die reglos auf dem Rücken lag. Sharman hob ihre Bettdecke an und betrachtete ihren nackten Körper. Lang und schlank, mit festen, hohen Brüsten und Beinen, die nicht aufzuhören schienen. Aus ihr hätte so viel mehr werden können als eine Prostituierte. Sie hätte ohne weiteres Model oder so etwas werden können. Was für eine Verschwendung. Aber wenn sie so etwas wäre, hätte sie ihn dann je eines Blickes gewürdigt? Wohl kaum.
    Plötzlich schlug Kate die Augen auf. »Das kostet dich extra.«
    Sharman runzelte die Stirn. »Was, nur fürs Gucken?«
    Sie sah ihn argwöhnisch an. »Solange das alles ist …«
    Als Sharman die Decke wieder über sie legte und sich anschickte, aus dem Bett zu steigen, ergriff Kate seinen Arm und streifte die Decke wieder ab. »Na los, du darfst umsonst. Hast du dir verdient nach gestern Abend.«
    Sharman sah sie an. »Und was ist mit den Extras?«
    Sie zögerte einen Moment. »Nein, die musst du trotzdem bezahlen.«
    Er lachte. »Tut mir Leid, Kate, aber ich muss los. Es ist jemand ermordet worden.«
    Beleidigt zog sich Kate die Decke wieder über und drehte sich von ihm weg. »Kann ich noch eine Weile bleiben und mich ausschlafen?«
    »Kostet dich extra.«
    »Verpiss dich. Verrechne das mit den Extras, die du letzte Nacht umsonst gekriegt hast.«
    Sharman lächelte und ging durch das Zimmer. An der Badezimmertür blieb er stehen.
    »Wie wär’s mit einem freien Abend heute?«
    »Meine Abende sind nicht frei. Sie sind sogar ziemlich teuer.«
    Er runzelte die Stirn. »Ob du Zeit hast, meine ich. Hast du zum Abendessen schon etwas vor?«
    Kate wusste, worauf er hinauswollte, aber sie ließ ihn gerne zappeln. »Vielleicht. Warum fragst du?«
    Sharman durchschaute ihr Spielchen, hatte aber keine Lust darauf. »Also dann um acht im Globe. «
    Kate drehte sich nicht um, sondern reckte nur den Daumen empor, bevor sie sich die Decke über den Kopf zog und weiterdöste. Sharman warf einen letzten langen Blick auf die Umrisse ihres Körpers unter der dünnen Decke und stellte sich mit einem Lächeln das Programm für den Abend vor. Dann schüttelte er seine Fantasien ab, zündete sich eine Zigarette an und wankte ins Bad, um seine Blase zu erleichtern.
     
    Als Sam in Grantchester eintraf, waren die Fernsehkameras bereits in Position und mit ihnen eine regelrechte Armee von Journalisten und Fotografen. Wie sie alle noch vor ihr von dem Mord erfahren hatten, war ihr ein Rätsel. Wahrscheinlich gab es bei der Polizei den einen oder anderen Beamten, der sich einen Nebenverdienst als inoffizieller Presseinformant sicherte, oder in Westminster waren gegenseitige Gefälligkeiten an der Tagesordnung. Etwas in der Art musste es wohl sein. Einen der Journalisten, Edward Case, erkannte Sam. Er war schon seit Jahren der Reporter für Kriminalfälle beim Cambridge Evening Star. Ein guter Reporter mit Fleet-Street-Erfahrung. Mehr als zehn Jahre lang hatte er für den Telegraph über die Londoner Verbrechensszene berichtet. Jetzt war er auf Gras – oder war es Alkohol? Viele Reporter, ebenso wie Polizisten, ruinierten mit Alkohol ihre Karriere, und Case eilte ein Ruf als gewaltiger Trinker voraus. Nun blieb ihm nur noch, bei einem kleinen Provinzblatt seine letzten Berufsjahre über die Runden zu bringen und zu hoffen, dass seine Leber lange genug durchhielt, damit er noch in den Genuss seiner Rente kam. Irgendwann würde auch der Star genug von ihm haben und ihn zwingen, freier Mitarbeiter zu werden. So, wie er aussah, konnte es nicht mehr lange dauern. Doch Sam wusste, dass er nicht zu unterschätzen war, selbst in seinem jetzigen Zustand. Die Jahre in der Fleet Street waren nicht umsonst gewesen. Er konnte immer noch sehr hartnäckig sein, wenn es um eine gute Story ging, und er kannte alle Tricks.
    Ausnahmsweise war Sam sehr pünktlich in Grantchester erschienen.
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