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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht
Autoren: Nigel McCrery
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Abwechslung auch mal arbeiten lassen?«
    Das war unfair, und sie wusste es. Trevor Stuart hatte die letzten zwei Wochen Bereitschaft gehabt und es war sein pures Glück gewesen, dass nichts passiert war. Er war sogar für ein paar Tage in die Leichenhalle gekommen, um ihr bei einigen Obduktionen zu helfen, und dafür war sie ihm dankbar.
    »Dass ich jetzt in der Verwaltung bin, heißt noch lange nicht, dass ich etwas dagegen habe, mir ab und zu die Hände schmutzig zu machen, Sam. Schließlich darf ich meine Wurzeln nicht vergessen.«
    Sam lächelte ihn jedes Mal beifällig an, wenn er das sagte, und das tat er öfter, als ihr lieb war. Trotz seines herablassenden Tonfalls sah sie keinen Sinn darin, ihn vor den Kopf zu stoßen und damit zu riskieren, seine dringend benötigte Unterstützung zu verlieren. Darum biss sie sich auf die Zunge und hielt den Mund.
    Wie um ihre Frage zu beantworten – wenn auch in Wirklichkeit wohl eher, weil er endlich sein Futter haben wollte –, sprang Shaw von ihrem Arm hinab und huschte auf die Küche zu. »Sogar der Kater ist gegen mich«, seufzte Sam.
    Nachdem sie sich entschlossen hatte, den Anruf anzunehmen, lief sie den Gartenweg hinab, so schnell sie mit ihren lose sitzenden Latschen konnte. Sie betrat die Küche und nahm den Hörer ab.
    »Dr. Ryan.«
    »Guten Morgen, Dr. Ryan. Hier ist Detective Inspector Meadows.«
    Sam brauchte den Namen gar nicht erst zu hören; sie erkannte seine Stimme. Sie mochte Meadows nicht. Schon seit Jahren kannte sie ihn und an ihrer Meinung über ihn hatte sich nie etwas geändert. Sie fand ihn seit jeher schwach und ineffizient und konnte nicht begreifen, wie er es geschafft hatte, Inspektor zu werden. Wahrscheinlich hatte es mehr damit zu tun, dass man zu irgendwelchen Geheimbünden gehörte, in denen man sich untereinander an einem besonderen Handschlag oder einem hochgekrempelten Hosenbein erkannte, als damit, dass man seine Arbeit gut machte. Doch der Stand der Ärzte war auch nicht frei von solchen Spielchen.
    »Was kann ich für Sie tun, Inspektor?«, fragte Sam.
    »Wir haben in Grantchester eine Frauenleiche gefunden und wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie vorbeikommen könnten.«
    Sam nahm den Kuli von dem Notizblock, der stets neben jedem ihrer Telefone lag. »Geben Sie mir die Adresse.«
    »The Gables, Oak Tree Avenue, Grantchester. Wissen Sie, wo das ist, oder soll ich Ihnen einen Wagen schicken?«
    Sams Orientierungssinn war berüchtigt. Schon mehr als einmal hatte sie sich auf dem Weg zu einem Mordschauplatz hoffnungslos verfranst. Sie kannte ihre Schwächen, aber es ging ihr trotzdem an die Ehre, wenn sie darauf hingewiesen wurde. Besonders von jemandem wie Meadows. »Ich bin durchaus in der Lage, nach Grantchester zu finden, vielen Dank, Herr Inspektor.«
    Seit Sam sich ein Navigationssystem in ihr Auto hatte einbauen lassen, war ihr Selbstvertrauen in diesen Dingen erheblich gestiegen.
    »Wie lange werden Sie brauchen?«
    Das war die zweite Frage, die Sam hasste. Sollte das etwa heißen, sie sei ein bisschen langsam oder gar faul?
    »Ich komme, so schnell ich kann.«
    Meadows ließ nicht locker. »Und wie lange wird das etwa dauern, Doktor?«
    »Rechnen Sie es sich selbst aus, Sie sind doch Polizist.« Am anderen Ende der Leitung herrschte beleidigtes Schweigen, bis Sam schließlich hinzufügte: »Ist die Presse schon da?«
    Nach einer kurzen Pause antwortete Meadows widerstrebend: »Noch nicht, aber wir nehmen an, dass sie unterwegs sind. Ziemlich medienträchtige Sache.«
    Sams Interesse erwachte. »Warum, wer ist es denn?«
    »Sophie Clarke.«
    »Die Frau von John Clarke, dem Unterhausabgeordneten?«
    »Genau die.«
    »Himmel.« Sie war schockiert, ein Gefühl, das sie nur selten überkam.
    »Dachte mir, dass Sie das munter macht.«
    »Geben Sie mir eine halbe Stunde.«
    Sie legte auf und schaute hinüber zu Shaw, der ungeduldig wartend neben seinem Futternapf saß. »Jetzt bloß keinen Fehler machen, Shaw. Das ganze Land wird mir auf die Finger schauen.«
    Sam hatte Sophie Clarke während des letzten Jahres ein paar Mal getroffen. Sie war noch sehr jung gewesen, Mitte bis Ende zwanzig, schätzte Sam. Eine sehr schöne Frau mit langen blonden Haaren und tiefblauen Augen. Und sie war ausgesprochen nett. Was sie von einem Mann wie John Clarke wollte, konnte Sam nicht begreifen. Er hatte bereits drei Ehefrauen gehabt, keine davon über dreißig, und wer weiß wie viele Affären. Es hieß ja, Macht sei ein Aphrodisiakum, und
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