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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht
Autoren: Nigel McCrery
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noch vor wenigen Momenten aus ihnen geleuchtet hatte, waren für immer verschwunden.
    Es war leichter gewesen, als er gedacht hatte. Und es war schneller gegangen. Mit Ausnahme der kleinen Verzögerung zu Beginn der Operation lief alles perfekt nach Plan. Er war zufrieden mit sich. »Planung«, murmelte er vor sich hin, »ist alles.« Nachdem er Claires Leiche nach irgendwelchen Hinweisen auf ihre Identität durchsucht hatte, zerrte er sie hinüber an die Wand der Unterführung. Das erwies sich als schwieriger, als er gedacht hatte; so ein Gewicht hätte er der zierlichen Frau gar nicht zugetraut. Als er sie da hatte, wo er sie haben wollte, ließ er ein paar Spritzen, ein Stück Stanniolpapier, ein Feuerzeug und eine Kokspfeife rund um ihre Leiche fallen. Falls sie je gefunden wurde, würden diese Drogenutensilien die Polizei für eine Weile auf den Holzweg locken, vielleicht sogar für immer.
    Zufrieden mit seinem Werk, bedeckte er ihren Körper mit mehreren alten Matratzen und Abfallsäcken und stützte alles mit ein paar Autoreifen ab. Als er den letzten Reifen auf den Haufen warf, sah er ein paar Ratten in der Unterführung hin und her huschen und lächelte. Sie würden ihm sicher behilflich sein. Selbst wenn man die Leiche entdeckte, würde nicht mehr viel von ihr übrig sein. Damit die Tiere schnell auf die richtige Spur kamen, zog er ihr noch die Turnschuhe und Socken von den Füßen, die unter den Matratzen hervorragten. Eine besonders fette Ratte rannte über eine der Matratzen und verschwand dann in einem schwarzen Müllsack. In den nächsten Wochen würden sie alle noch ein gutes Stück fetter werden, dachte er. Der Gestank dieser Müllhalde in der Julihitze würde auch den Verwesungsgeruch überdecken, der nicht ausbleiben würde, und den Ratten Zeit verschaffen, ihre Arbeit zu tun. Er hatte jede Eventualität durchdacht und berücksichtigt. Wirklich gute Arbeit, beglückwünschte er sich im Stillen selbst.
    Nach einem letzten Blick in die Runde, um sich zu vergewissern, dass er nichts zurückgelassen hatte, sprang er in den Wagen und fuhr davon. Er schaute auf die Uhr. Noch drei Minuten, bis der nächste Zug vorbeikam. Bis dahin war er längst weg. Kein Bauer auf dem Feld, niemand, der seine blöden Hunde spazieren führte, nicht einmal ein Kind auf einem Fahrrad, kein Zeuge weit und breit; alles lief wie am Schnürchen.
    Nach ein paar Kilometern bog er von der Straße nach Cambridge auf einen anderen Feldweg ab, der in ein dichtes Nadelgehölz führte. Er fuhr an seinem eigenen Wagen, den er ein paar Stunden zuvor auf einer kleinen Lichtung abgestellt hatte, vorbei, hielt nach etwa hundert Metern und stieg aus. Aus dem Kofferraum holte er eine schwarze Mülltüte, in der ordentlich zusammengefaltet seine sauberen Klamotten lagen. Er zog sich alles aus, legte Perücke und Bart ab und warf alles zusammen mit Claires Sachen in den Wagen. Dann riss er beide Nummernschilder ab und steckte sie in eine große Plastiktüte. Später würde er die Schilder unleserlich machen und im Cam versenken. Rasch zog er sich Hemd, Hose, Jackett und Krawatte an. Schließlich entleerte er einen Kanister Benzin über dem Auto, setzte es in Brand und ging zurück zu seinem eigenen Wagen. Immer noch unbeobachtet, bog er wieder in die Straße nach Cambridge ein und beschleunigte. Noch bevor der schwarze Rauch des brennenden Autos über die Baumwipfel stieg, hatte er den Schauplatz weit hinter sich gelassen, hörte Radio 2 und sang im Duett mit Robbie Williams »Angels«. Es hätte nicht besser laufen können.

1
    Detective Sergeant Stanley Sharman nahm einen letzten, zutiefst befriedigenden Zug aus seiner Zigarette, bevor er sie achtlos durch das offene Seitenfenster hinaus auf die Straße schnippte. Einen Moment lang sah er ihre Glut noch als einsamen roten Punkt im Schmutz der heruntergekommenen Gasse leuchten, dann erstarb sie und verschmolz mit der bedrohlichen Dunkelheit. Während der letzte Rauch aus seiner Nase strömte, versuchte er mit seinen Augen die tiefen Schatten zu durchdringen, die sich über die Gasse erstreckten und sie mit einer finsteren Melancholie erfüllten. Endlich entdeckte er, wonach er gesucht hatte. Das elegante Mercedes-Coupé stand ein Stück hinter der einzigen Straßenlaterne, die in der Gasse noch unbeschädigt war. An seiner sanft schaukelnden Bewegung erkannte Sharman, dass er das richtige Fahrzeug vor sich hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Frau, nach der er suchte, aussteigen
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