Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht
Autoren: Nigel McCrery
Vom Netzwerk:
da er nicht gerade der attraktivste Mann war, musste es wohl an seiner Macht liegen. Soeben hatte er sogar seinen ersten Kabinettsposten errungen und war zum Umweltminister ernannt worden, sodass sein Bekanntheitsgrad höher war als je zuvor. Sam hatte schon immer gefunden, dass er ziemlich von sich überzeugt und ein kleiner Snob war. Einmal, während einer Wohltätigkeitsparty im Park, hatte er sie eingeladen, mit ihm auszugehen. Sie hatte es ausgesprochen genossen, ihm einen Korb zu geben. Als sie sich das nächste Mal begegneten, hatte er sie vollkommen ignoriert, was ihr nur recht gewesen war. Gegen Sophie jedoch hatte sie nichts. Um sie tat es ihr Leid. Auch jetzt noch, nach all den Jahren in der Pathologie, empfand sie eine besondere Trauer, wenn jemand starb, der so jung und voller Leben gewesen war.
    Sam kehrte in die Gegenwart zurück und überlegte, was sie zu dem Anlass anziehen sollte. Bei so viel Medieninteresse wollte sie gut aussehen – oder zumindest professionell. Das Armani-Kostüm, das sie sich bei ihrem letzten Ausflug nach London gekauft hatte, war genau das Richtige. Elegant, attraktiv und professionell, genau das Image, das sie ausstrahlen wollte. Während Shaw sich genüsslich über sein Futter hermachte, sprang Sam die Treppe hinauf, um sich umzuziehen.
     
    Sharman fuhr aus dem Schlaf hoch, als das Telefon auf seinem Nachttisch plötzlich zum Leben erwachte. Er schlug die Augen auf und versuchte sich zu orientieren. Offensichtlich befand er sich in seinem eigenen Zimmer und sogar in seinem eigenen Bett. Da sein Arm um ihre Taille geschlungen war, wusste er auch, dass Kate neben ihm lag, doch wie spät es war, oder auch nur welcher Tag, hätte er beim besten Willen nicht sagen können. Er schaltete die Nachttischlampe ein und warf einen Blick auf den Wecker. Zehn nach sieben. Welcher Hirntote rief ihn um sieben Uhr morgens an, nachdem er den ganzen Abend in der Spätschicht zugebracht hatte? Na ja, fast den ganzen Abend, dachte er mit einem Blick auf Kate. Er griff nach dem Hörer. Das konnte nur eine schlechte Nachricht sein.
    »Sharman.«
    »Stan? Hier ist Dick Meadows.«
    Sharman zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich? Hätte ich nie erraten«, meinte er sarkastisch.
    Meadows war fünf Jahre lang sein Partner gewesen und er war fest überzeugt, in dieser Zeit einen krummen Rücken davon bekommen zu haben, dass er den Mistkerl auf den Schultern herumtragen musste. Das Schlimmste war, dass sie dann auch noch Meadows statt seiner zum Inspektor befördert hatten. Danach hatte er beschlossen, allein zu arbeiten. Das brachte weniger Komplikationen. Seither hatte er stets der Versuchung widerstanden, sich einen Partner aufzuhalsen, obwohl er etliche Angebote bekommen hatte, unter anderem von Meadows, der einen Kofferträger suchte. Frechheit. Sharman fuhr in demselben sarkastischen Ton fort: »Hast du eine Ahnung, wie spät es ist? Ich bin auf Spätschicht, falls du das vergessen haben solltest.«
    »Tut mir Leid, Stan, ich weiß, heute ist dein freier Tag.«
    Wirklich? Daran hatte Sharman noch gar nicht gedacht.
    »Aber ich brauche dich hier unten. Wir haben einen Kalten.«
    Das war Meadows’ üblicher Ausdruck für eine Leiche, meist ein Mordopfer.
    Sharman lehnte sich über den Nachttisch und griff nach einem Kuli. »Wo?«
    »Oak Tree Avenue, Grantchester. Du musst nur von der Hauptstraße abbiegen, vom Fluss weg.«
    »Ja, ich weiß, wo das ist, danke, Dick. Ich halte mich einfach an die Blaulichter, wenn ich da bin, okay?«
    Sharman kannte die Gegend gut. Es war eines der gefragtesten Wohnviertel in Cambridge. Nur die Größten und Besten wohnten dort. Nun, jedenfalls die Größten. »Jemand, den man kennt?«
    »Sophie Clarke.«
    »Doch nicht die Gattin unseres hochgeschätzten Abgeordneten John, oder?«
    »Genau die. Kannst du dich beeilen?«
    »Das will ich auf keinen Fall verpassen. Vielleicht komme ich sogar ins Fernsehen.«
    Meadows lachte. »Das wollen alle. Sogar diese zickige Pathologin hat nach den Kameras gefragt. Na ja, sie bauen gerade auf, also binde dir besser deinen besten Schlips um.«
    Sharman grunzte. »So was habe ich gar nicht.«
    Er hörte Meadows am anderen Ende der Leitung lachen.
    »Okay, wir sehen uns gleich. Ach, und schöne Grüße an Kate.«
    Sharman knallte den Hörer auf die Gabel, ohne etwas zu erwidern. Woher zum Henker wusste Meadows über Kate Bescheid? Die verlogenen Heuchler von der Sitte, schätzte er. Und Meadows musste ihm natürlich brühwarm zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher